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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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hatten zwar fünf Direktoren, aber nur Barras war von entscheidender Bedeutung. Außerdem waren sämtliche Parteien der Republik mit unseren fünf mehr oder minder bestechlichen Staatsoberhäuptern unzufrieden. Barras wollte nun diese Unzufriedenheit ausnutzen und drei seiner Mitdirektoren loswerden. Gemeinsam mit dem alten Jakobiner Sieyès wollte er das Direktorium weiterführen. Da er fürchtete, dass es bei diesem von ihm geplanten Putsch zu Unruhen kommen könnte, forderte er Jean-Baptiste auf, ihm als militärischer Ratgeber zur Seite zu stehen. Jean-Baptiste lehnte dies ab. Barras solle sich an die Verfassung halten und, wenn er eine Verfassungsänderung vorschlagen wolle, die Abgeordneten befragen. Joseph fand meinen Mann verrückt. »Sie könnten morgen der Diktator Frankreichs sein, gestützt auf die Bajonette Ihrer Truppen«, schrie er. »Eben«, sagte Jean-Baptiste ruhig, »und das muss vermieden werden. Sie scheinen zu vergessen, Monsieur Bonaparte, dass ich überzeugter Republikaner bin.«
    »Aber vielleicht wäre es im Interesse der Republik, wenn sich in Kriegszeiten ein General an die Spitze der Regierung oder, sagen wir, hinter die Regierung stellt«, meinte Lucien nachdenklich. Jean-Baptiste schüttelte denKopf. »Eine Verfassungsänderung ist Sache der Vertreter des Volkes. Wir haben zwei Kammern – den Rat der Fünfhundert, dem Sie selbst angehören, Lucien, und den Rat der Alten, dem Sie wahrscheinlich angehören werden, wenn Sie die Altersgrenze erreicht haben. Die Abgeordneten haben zu entscheiden, aber bestimmt nicht die Armee oder einer ihrer Generäle. Ich fürchte jedoch, wir langweilen die Damen. Was ist das eigentlich für ein komisches Ding, an dem du stichelst, Désirée?« »Ein Jäckchen für deinen Sohn, Jean-Baptiste.«
    Vor beinahe sechs Wochen, am 30. Prairial, gelang es Barras, seine drei Mitdirektoren zum Rücktritt zu bewegen. Nun repräsentiert er allein mit Sieyès unsere Politik. Die Linksparteien, die im Vordergrund standen, verlangten die Ernennung neuer Minister. An Stelle von Talleyrand wurde unser Gesandter in Genf, ein Monsieur Reinhart, Außenminister, und zum Justizminister wurde unser berühmtester Jurist und Feinschmecker, Monsieur Cambacérès, ernannt. Da wir jedoch an allen Grenzen Krieg führen und die Republik auf die Dauer nur verteidigen können, wenn die Zustände in der Armee verbessert werden, so hängt alles von der Wahl eines neuen Kriegsministers ab.
    Frühmorgens am 15. Messidor erschien ein Bote aus dem Palais Luxembourg: Jean-Baptiste solle sofort zu den beiden Direktoren kommen, es sei sehr wichtig. Jean-Baptiste ritt zur Stadt, und ich saß den ganzen Vormittag unter dem Kastanienbaum und ärgerte mich über mich selbst. Ich hatte nämlich am Abend vorher ein ganzes Pfund Kirschen auf einen Sitz aufgegessen, und diese Kirschen rumorten nun in meinem Magen herum, und mir wurde immer unbehaglicher zumute. Plötzlich jagte ein Messer durch meinen Leib. Der Schmerz währte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber nachher saß ich wie gelähmt. Dulieber Himmel, das hat wehgetan! »Marie –«, rief ich. »Marie!«
    Marie erschien, warf einen Blick auf mich und sagte: »Hinauf ins Schlafzimmer, ich schicke Fernand um die Hebamme!«
    »Aber es sind doch nur die Kirschen von gestern Abend.«
    »Hinauf ins Schlafzimmer«, wiederholte Marie, nahm mich beim Arm und zog mich in die Höhe. Das Messer meldete sich nicht mehr, und erleichtert lief ich die Treppen hinauf. Dann hörte ich, dass Marie Fernand davonschickte. Fernand war mit Jean-Baptiste aus Germanien zurückgekommen. »Endlich ist der Kerl zu etwas zu gebrauchen«, sagte Marie, die ins Schlafzimmer kam und drei Laken über das Bett breitete. »Es sind bestimmt nur die Kirschen«, beharrte ich eigensinnig. Im gleichen Augenblick setzte das Messer wieder an und jagte vom Rücken aus durch mich hindurch. Ich schrie, und als es vorüber war, begann ich zu weinen. »Schämst du dich nicht? Hör sofort auf zu weinen!«, fuhr mich Marie an. Aber ich konnte ihr ansehen, dass ich ihr furchtbar Leid tat. »Julie soll kommen, Julie –«, jammerte ich. Julie würde mich bedauern, ganz schrecklich bedauern, und ich sehnte mich sehr danach, bedauert zu werden. Fernand kehrte mit der Hebamme zurück und wurde zu Julie geschickt.
    Die Hebamme. Nein, so etwas von einer Hebamme! Sie hatte mich in den letzten Monaten einige Male untersucht und war mir immer unheimlich gewesen, aber jetzt kam sie mir wie eine Riesin

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