Désirée
er ins Esszimmer getreten war. Nun stand er vor dem Anrichtetisch und schenkte sich ein Glas Kognak ein. »Ich möchte wetten, dass Josephine heute bei Ihnen war, um Sie um Ihre Fürsprache zu bitten. Stimmt das, Désirée?« Ich zuckte dieAchseln. »Aber wie Sie dazu kommen, zu ihr zu halten anstatt zu uns, ist mir ein Rätsel«, fuhr Joseph empört fort. »Wen verstehen Sie unter ›zu uns‹?«, erkundigte ich mich.
»Mich zum Beispiel. Und Napoleon natürlich.«
»Sie geht das Ganze gar nichts an. Und Napoleon in Ägypten kann Geschehenes nicht ungeschehen machen. Es wird ihn nur sehr kränken. Wozu ihm also Kummer bereiten?« Joseph betrachtete mich interessiert. »Also immer noch in ihn verliebt, wie rührend …«, spottete er. »Ich habe geglaubt, Sie hätten ihn längst vergessen.«
»Vergessen?«, sagte ich erstaunt. »Man kann doch seine erste Liebe nicht vergessen! Napoleon selbst – mein Gott, an ihn denke ich fast nie. Aber mein Herzklopfen von damals und jenes Glücklichsein und alles darauf folgende Herzeleid werde ich nie vergessen.« »Und deshalb möchten Sie ihm jetzt eine große Enttäuschung ersparen?« Joseph schien dieses Gespräch Spaß zu machen. Er schenkte sich noch ein Glas ein. »Natürlich, ich weiß doch, wie einem bei einer großen Enttäuschung zumute ist.« Joseph grinste vor Vergnügen. »Aber mein Brief an ihn ist bereits unterwegs.« »Dann hat es keinen Sinn mehr, darüber zu sprechen«, sagte ich. Joseph hatte inzwischen noch zwei Gläser voll geschenkt. »Kommt, Mädchen – jetzt wünschen wir drei einander ein frohes Neujahr, ihr müsst in Stimmung kommen, jeden Moment können die ersten Gäste erscheinen!« Gehorsam nahmen Julie und ich ihm die Gläser aus der Hand. Aber ich hatte den Kognak noch gar nicht berührt, als mir plötzlich sehr elend wurde. Der Geruch ekelte mich an, und ich stellte das Glas schnell auf den Anrichtetisch zurück. »Ist dir nicht wohl? Du bist ganz grün im Gesicht, Désirée!«, rief Julie. Ich spürte Schweißtropfen auf meiner Stirn, ließ mich auf einen Stuhl fallen und schüttelte den Kopf: »Nein, nein – es ist nichts, ich habe das jetzt so oft …« Dabei schloss ich die Augen.»Vielleicht bekommt sie ein Kind«, hörte ich Joseph sagen. »Ausgeschlossen, das müsste ich doch wissen«, widersprach Julie. »Wenn sie krank ist, muss ich sofort dem Bernadotte schreiben«, sagte Joseph eifrig. Schnell riss ich die Augen auf: »Unterstehen Sie sich, Joseph! Sie werden ihm kein Wort davon schreiben. Ich will ihn überraschen!«
»Womit?«, fragten Julie und Joseph zugleich. »Mit einem Sohn«, erklärte ich und war auf einmal sehr stolz. Julie fiel neben mich auf die Knie und umarmte mich. Joseph sagte: »Vielleicht wird es aber eine Tochter.«
»Nein, es wird ein Sohn, der Bernadotte eignet sich nicht für Töchter«, meinte ich und stand auf. »Und jetzt gehe ich nach Hause, seid mir nicht böse, aber ich möchte mich lieber niederlegen und ins neue Jahr hinüberschlafen.« Joseph hatte wieder Kognak eingeschenkt, und er und Julie tranken mir zu. Julie hatte feuchte Augen. »Es lebe die Dynastie Bernadotte!«, sagte Joseph und lachte. Der Scherz gefiel mir. »Ja, hoffen wir das Beste für die Dynastie Bernadotte«, sagte ich. Dann fuhr ich nach Hause. Aber die Glocken haben mich nicht ins neue Jahr hinüberschlafen lassen. Jetzt sind sie längst verstummt, und wir befinden uns schon eine ganze Weile im Jahr VII. Irgendwo in Germanien trinkt Jean-Baptiste mit seinen Stabsoffizieren. Vielleicht trinken sie sogar auf das Wohl von Madame Bernadotte. Aber ich stehe ganz allein diesem neuen Jahr gegenüber. Nein, nicht ganz allein. Jetzt wandern wir beide zusammen in die Zukunft – du kleiner ungeborener Sohn. Und hoffen dabei das Beste, nicht wahr? Für die Dynastie Bernadotte!
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Sceaux bei Paris, 17. Messidor,
Jahr 7. (Mama schreibt
wahrscheinlich 4. Juli 1799.)
I ch habe seit acht Stunden einen Sohn.
Er hat dunklen Seidenflaum auf dem Kopf, aber Marie sagt, diese ersten Haare fallen wahrscheinlich aus. Er hat dunkelblaue Augen, aber Marie sagt, dass alle nagelneuen Kinder blaue Augen haben.
Ich bin so schwach, dass alles vor meinen Augen flimmert, und sie wären sehr böse, wenn sie wüssten, dass Marie nachgegeben und mir heimlich mein Buch gebracht hat. Die Hebamme glaubt sogar, dass ich sterben muss. Aber der Arzt meint, dass er mich durchbringt. Ich habe sehr viel Blut verloren, und jetzt haben sie die unteren
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