Désirée
aus irgendeinem Grund einmal die bösen Monatstage ausbleiben, sie können auch zweimal hintereinander ausbleiben, vielleicht auch dreimal. Ich hatte Julie nichts davon gesagt, denn Julie würde mich zu einem Arzt schleppen. Und ich wollte nicht untersucht werden und nicht erfahren, dass – Marie weiß es, dachte ich. Ich starrte die Zimmerdecke an und versuchte es mir vorzustellen. Es ist etwas ganz Natürliches, sagte ich mir, alle Frauen bekommen Kinder. Mama und Suzanne und – ja, Julie war schon bei zwei Ärzten, weil sie sich so sehr ein Kind wünscht und noch keines hat. Aber Kinder sind eine furchtbare Verantwortung, man muss wahrscheinlich sehr klug sein, um sie zu erziehen und ihnen zu erklären, was man darf und was man nicht darf! Und ich weiß so wenig … Ein kleiner Junge mit schwarzen Locken wie Jean-Baptiste. Jetzt werden schon die Sechzehnjährigen einberufen, um unsere Grenzen zu verteidigen. Ein kleiner Junge wie Jean-Baptiste, den man mir im Rheinland oder in Italien ermordet. Oder einer, der selbst mit einer Pistole dasteht und die Söhne von anderen Leuten abknallt … Ich presste die Hände auf meinen Leib. Ein kleiner neuer Mensch – in mir? Das war doch ausgeschlossen. Mein kleiner Mensch, dachte ich gleichzeitig, du Teilchen meines Ich. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich ganz glücklich. Aber dann schalt ich mich aus. Mein kleiner Mensch? Das gibt es nicht, kein Mensch gehört einem anderen. Und warum soll mich mein kleiner Sohn immer verstehen können? Ich finde doch auchMamas Anschauungen veraltet, wie oft gebrauche ich Mama gegenüber kleine Notlügen. Und ganz genau so wird sich mein Sohn verhalten – er wird mich anlügen und mich altmodisch finden und sich sogar über mich ärgern. Ich habe dich nicht gerufen, du – du kleiner Feind in mir, dachte ich böse. Marie klopfte an die Tür, aber ich machte nicht auf. Dann hörte ich, dass sie wieder hinunter in die Küche ging. Nach einer Weile kehrte sie zurück und klopfte nochmals. Schließlich ließ ich sie ein. »Ich habe die Suppe aufgewärmt«, sagte sie. »Du, Marie – damals, als du deinen kleinen Pierre erwartet hast, warst du da sehr glücklich?« Marie setzte sich aufs Bett, und ich legte mich wieder nieder. »Nein, natürlich nicht, ich war doch nicht verheiratet«, sagte Marie. »Ich habe gehört, dass man – ich meine, wenn man kein Kind haben will, so kann man – es gibt vielleicht Frauen, die einem helfen können –«, brachte ich zögernd hervor. Marie sah mich forschend an. »Ja«, sagte sie langsam, »das habe ich auch gehört, meine Schwester war bei so einer Frau, du weißt, sie hat doch sowieso schon so viele Kinder und wollte deshalb keines mehr haben. Nachher war sie sehr lange krank. Jetzt kann sie nie mehr Kinder bekommen und – richtig gesund wird sie auch nicht mehr. Aber die großen Damen – so eine, wie die Tallien zum Beispiel oder die Madame Josephine, die kennen sicher einen richtigen Arzt, der helfen würde. Es ist natürlich verboten.« Sie machte eine Pause. Ich lag mit geschlossenen Augen da und zog meinen Bauch ein und presste meine Hände darauf. Flach war er, ganz flach. Da hörte ich Marie fragen: »Du willst dir also das Kind nehmen lassen?« »Nein …!« Ohne nachzudenken, hatte ich Nein geschrien. Marie stand auf und schien sehr zufrieden. »Komm, iss die Suppe«, sagte sie zärtlich: »Und dann setz dich hin und schreib es dem General. Der Bernadotte wird sich freuen.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, so etwaskann ich nicht schreiben. Ich wollte, ich könnte es ihm sagen.« Dann trank ich die Suppe, kleidete mich an, fuhr zu Monsieur Montel und lernte eine neue Kontra-Tanzfigur.
Heute Morgen hatte ich eine große Überraschung. Josephine besuchte mich! Bisher war sie nur zweimal bei mir gewesen und jedes Mal zusammen mit Julie und Joseph. Aber man konnte ihr nicht anmerken, dass ihr plötzlicher Besuch sehr ungewöhnlich war. Sie war ganz wunderbar gekleidet – ein weißes Kleid aus dünnem Wollstoff, ein winziges, eng anliegendes Hermelinjäckchen und ein hoher schwarzer Postillonhut mit einer weißen Straußfeder. Aber der graue Wintermorgen stand ihr nicht gut, wenn sie lachte, sah man die vielen Fältchen um die Augen, und ihre Lippen schienen sehr trocken zu sein, denn die rosa Schminke klebte so ungleichmäßig daran. »Ich wollte sehen, wie es Ihnen als Strohwitwe geht, Madame«, sagte sie und fügte hinzu: »Wir Strohwitwen müssen doch zusammenhalten, nicht wahr?«
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