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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Wohnmobils.
Das Fahrzeug war von Straßenstaub überzogen und stand auf
eine linkisch wirkende, unnatürliche Weise schräg.
Als sie näherkamen, fiel Peter etwas Merkwürdiges auf: Alle drei Reifen, die er sehen konnte, der einzelne vorne unter
dem Fahrersitz und das Paar hinten, schienen einen Platten zu
haben. Er dachte sich, daß der vorne auf der Beifahrerseite
auch platt sein mußte, obwohl er nur einen flüchtigen Blick
darauf werfen konnte. Die vielen Platten konnten die Ursache
für die seltsame Schräglage des Wohnmobils sein, aber wie bekam man so viele Platten auf einmal? Nägel auf der Straße? Ein
Haufen Glasscherben?
Er sah Mary an, aber die blickte immer noch verbissen in
den Rückspiegel. »Wenn wir diesen Beutel Dope unter dem
Ersatzreifen versteckt hätten«, sagte sie, »wenn es uns gehörte, warum hätte Peter dann in Gottes Namen den Reifen
rausnehmen sollen, so daß Sie es sehen können? Ich meine, er
hätte um den Reifen herumgreifen und den Werkzeugkasten
holen können, es wäre ein bißchen unpraktisch gewesen, aber
Platz genug war da.«
Sie fuhren an dem Wohnmobil vorbei. Die Seitentür war zu,
aber nicht abgeschlossen. Die Stufen waren heruntergeklappt.
Eine Puppe lag davor im Staub. Das Kleid der Puppe flatterte
im Wind.
Peter machte die Augen zu. Er wußte nicht genau, ob er sie
zugemacht hatte, oder ob sie von allein zugefallen waren. Was
ihn auch nicht kümmerte. Er dachte nur daran, daß Officer
Friendly an dem liegengebliebenen Wohnmobil vorbeigebraust war, als hätte er es gar nicht gesehen … oder als wüßte
er bereits davon.
Zwei Zeilen aus einem alten Song gingen ihm durch den
Kopf: Somethin’ happenin’ here … what it is ain’ t exactly dear … »Machen wir den Eindruck auf Sie, als wären wir blöd?«
fragte Mary, während das Wohnmobil hinter ihnen zurückblieb und kleiner wurde - genau wie Deirdres Acura. »Oder
high? Glauben Sie, wir sind -«
»Maul halten«, sagte der Cop. Er sagte es leise, aber das Gift
in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Mary hatte sich nach vorne gebeugt und die Finger in das
Drahtgitter zwischen den Sitzen verhakt. Nun ließ sie die
Hände sinken und sah Peter mit einem schockierten Ausdruck an. Sie war die Frau eines Professors, eine Dichterin,
die seit ihren ersten zaghaften Versuchen vor acht Jahren in
über zwanzig Zeitschriften veröffentlicht hatte, sie ging zweimal pro Woche in ihre Frauendiskussionsrunde und hatte
ernsthaft erwogen, ob sie sich die Nase piercen lassen sollte.
Peter fragte sich, wann ihr zum letztenmal jemand gesagt
hatte, daß sie das Maul halten sollte. Er fragte sich, ob ihr überhaupt schon mal jemand gesagt hatte, daß sie das Maul
halten sollte.
»Was?« fragte sie und versuchte wahrscheinlich aggressiv
zu klingen, wenn nicht gar bedrohlich, sie hörte sich aber nur
bestürzt an. »Was haben Sie zu mir gesagt?«
»Ich nehme Sie und Ihren Mann wegen Marihuanabesitzes
mit Verkaufsabsicht fest«, sagte der Cop. Seine Stimme klang
tonlos, roboterhaft. Als Peter sich nach vorne beugte, sah er,
daß ein kleiner Plastikbär am Armaturenbrett klebte, neben
einem Kompaß und etwas, das vermutlich eine Digitalanzeige für eine Radarkontrollpistole war. Der Bär war klein, so
groß wie eine Dreingabe aus dem Kaugummiautomaten, und
seine leeren, gemalten Augen sahen Peter an.
Das ist ein Alptraum, dachte er, wohl wissend, daß es keiner
war. Es muß ein Alptraum sein. Ich weiß, es scheint wirklich zu
passieren, aber es muß einer sein.
»Das kann nicht Ihr Ernst sein«, sagte Mary, aber ihre
Stimme klang dünn und betroffen. Die Stimme von jemand,
der es besser wußte. Wieder traten ihr Tränen in die Augen.
»Ganz bestimmt nicht.«
»Sie haben das Recht zu schweigen«, sagte der große Cop
mit seiner Roboterstimme. »Wenn nicht, kann alles, was Sie
sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben
das Recht auf einen Anwalt. Ich werde Sie töten. Wenn Sie sich
keinen Anwalt leisten können, bekommen Sie einen Pflichtverteidiger gestellt. Haben Sie Ihre Rechte verstanden, wie ich
sie Ihnen erklärt habe?«
Mary sah Peter mit großen, schreckgeweiteten Augen an
und fragte ihn wortlos, ob er auch gehört hatte, was der Cop
außer ihren Rechten noch gesagt hatte, ohne seine Roboterstimme auch nur um eine Nuance zu verändern. Peter
nickte. Er hatte es gehört. Er legte einen Moment die Hand in
den Schritt und war überzeugt, daß es sich dort feucht anfühlen würde, aber er hatte sich nicht naßgemacht.

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