Desperation
Achseln.
»Hat der Cop Ihnen die Schlüssel gelassen?« fragte Cynthia.
»Nein, aber wenn ich Glück habe …«
Sie sprang aus dem Bus, landete in einer lockeren Sanddüne
und stapfte zu dem Auto. Als sie es sah, mußte sie schlagartig
wieder an Peter denken - Peter, der so gottverdammt und absurd stolz auf seine Monographie über James Dickey gewesen
war, ohne zu ahnen, daß er nie dazu kommen würde, die geplante Fortsetzung zu schreiben …
Sie sah das Auto doppelt, dann verschwamm es zu Prismen.
Ihre Brust bebte, als sie sich mit einem Arm über die Augen
wischte, auf die Knie ging und unter der vorderen Stoßstange
tastete. Zuerst konnte sie nicht finden, was sie suchte, und alles schien ihr zuviel zu werden. Warum wollte sie dem Ryder
überhaupt in diesem Auto nach Austin folgen? Umgeben von
Erinnerungen? Von Peter?
Sie legte die Wange an die Stoßstange
- die bald zu heiß
für eine Berührung sein würde, aber noch war sie nächtlich
kühl - und ließ den Tränen ihren Lauf.
Sie spürte, wie eine Hand zögernd ihre berührte, und sah
sich um. David stand da; sein schmales, zu altes Gesicht
schwebte über einer schmalen Knabenbrust in einem Baseball-T-Shirt. Er sah sie ernst an, hielt ihre Hand aber nicht richtig, sondern berührte nur ihre Finger mit seinen, als würde er
sie gern halten.
»Was ist, Mary?«
»Ich kann das kleine Kästchen nicht finden«, sagte sie und
zog kräftig die Nase hoch. »Das kleine magnetische Kästchen
mit dem Ersatzschlüssel darin. Es war unter der vorderen
Stoßstange, aber ich glaube, es ist runtergefallen. Vielleicht
haben es auch die Jungs mitgenommen, die unser Nummernschild gestohlen haben.« Ihr Mund bebte, und sie fing wieder
an zu weinen.
Er ließ sich neben ihr auf die Knie nieder und verzog das
Gesicht, als ihn etwas im Rücken kniff. Selbst durch ihre Tränen konnte sie die Male an seinem Hals sehen, wo Audrey
Wyler ihn hatte erwürgen wollen
- häßliche, purpurfarbene
Hecken, die wie Gewitterwolken aussahen.
»Pssst, Mary«, sagte er und fühlte selbst an der Innenseite
der Stoßstange entlang. Sie konnte hören, wie seine Finger in
der Dunkelheit tasteten, und wollte plötzlich rufen: Sei vorsichtig! Da könnten Spinnen sein! Spinnen!
Dann ließ er ein kleines graues Kästchen in ihre Hand fallen. »Versuchen Sie es doch einfach. Falls er nicht anspringt…«
Er zuckte die Achseln, um zu zeigen, daß es so oder so keine
große Rolle spielte - schließlich hatten sie den Bus.
Ja, den Bus. Aber Peter war nie in dem Bus gefahren, und
vielleicht wollte sie seinen Geruch noch eine Weile um sich haben. Das Gefühl seiner Nähe. Das ist ein hübsches Paar Melonen,
Ma’am, hatte er gesagt und ihre Brüste berührt.
Die Erinnerung an seinen Geruch, seine Berührung, seine
Stimme. Die Brille, die er beim Fahren getragen hatte. Das alles würde weh tun, aber
»Ja, ich komme mit Ihnen«, sagte David. Sie knieten vor
Deirdre Finneys Auto und sahen sich an. »Das heißt, falls er
anspringt. Und wenn Sie es wollen.«
»Ja«, sagte sie. »Ich will es.«
4
Steve und Cynthia kamen zu ihnen und halfen ihnen auf die
Füße.
»Ich fühle mich, als wärt ich hundertundacht«, sagte Mary.
»Keine Sorge, Sie sehen keinen Tag älter aus als neunundachtzig«, sagte Steve und lächelte, weil sie so tat, als wollte sie
ihm eine kleben. »Wollen Sie wirklich versuchen, in dem kleinen Auto nach Austin zu kommen? Was ist, wenn es im Sand
steckenbleibt?«
»Eins nach dem anderen. Wir sind nicht mal sicher, ob es anspringt, oder, David?«
»Nein«, sagte David seufzend. Er entfernte sich wieder von
ihr, das spürte Mary, sie wußte aber nicht, was sie dagegen tun
sollte. Er stand mit gesenktem Kopf da und betrachtete den
Kühlergrill des Acura, als wären sämtliche Geheimnisse von
Leben und Tod darin verborgen, während die Emotionen wieder aus seinem Gesicht verschwanden, so daß es abwesend
und nachdenklich aussah. Eine Hand hatte er locker um den
grauen Magnetwürfel mit dem Ersatzschlüssel darin gelegt.
»Wenn er anspringt, fahren wir im Konvoi«, sagte sie zu
Steve. »Ich hinter Ihnen. Wenn wir liegenbleiben, steigen wir in
den Bus um. Aber das glaube ich nicht. Eigentlich ist es gar kein
so schlechtes Auto. Wenn meine gottverdammte Schwägerin es
bloß nicht als Versteck für ihr Dope benützt hätte …« Ihre
Stimme bebte, sie kniff fest die Lippen zusammen.
»Ich glaube nicht, daß wir weit fahren müssen, bis die
Straße frei ist«, sagte David, ohne vom Kühler des Acura
Weitere Kostenlose Bücher