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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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jedesmal wieder. Er schaltete
das Radio ein, suchte einen Oldie-Sender und drehte die
Lautstärke herunter, um David zu fragen, ob er ein Eis oder irgendwas wollte. David schüttelte den Kopf, worauf sein Vater
die Musik lauter als zuvor drehte.
Als sie zu Hause ankamen, sagte David seinem Vater, daß er
in der Einfahrt ein paar Körbe werfen wollte. Sein Vater sagte,
daß er nichts dagegen hätte, und ging rasch ins Haus. Als David an dem Riß im Asphalt stand, den er als Wurflinie benutzte, hörte er, wie sich seine Eltern in der Küche unterhielten; ihre Stimmen drangen zum offenen Fenster über der
Spüle heraus. Sie wollte wissen, wie es gelaufen war, wie David es aufgenommen hatte. »Nun, es gab eine Szene«, sagte er,
als wären Brians Koma und sein baldiger Tod ein Theaterstück.
David klinkte sich aus. Das Gefühl des Andersseins war
wieder über ihn gekommen, das Gefühl, klein zu sein, ein Teil
anstelle des Ganzen, ein Spielzeug in der Hand von jemand
anderem. Plötzlich verspürte er den starken Drang, zu den
Bear Street Woods hinunterzugehen, zu der kleinen Lichtung
in der Mitte. Ein Pfad - schmal, aber man konnte ihn auch zu
mehreren mit dem Fahrrad passieren, wenn man hintereinander fuhr - führte zu dieser Lichtung. Dort, im Vietcong-Wachposten, hatten die Jungs im Jahr zuvor eine von Debbie ROSS ‘
Zigaretten versucht und festgestellt, daß sie abscheulich
schmeckte, dort hatten sie ihre erste Ausgabe von Penthouse durchgeblättert (Brian hatte sie hinter dem E-Z Stop 24 hangabwärts in ihrer Straße auf dem Müll liegen sehen), dort hatten sie die Beine baumeln lassen, ihre langen Gespräche geführt und ihre Träume geträumt … hauptsächlich darüber,
wie sie die Könige der West Wentworth Middle School sein
würden, wenn sie in die neunte Klasse kamen. Dort, auf der
Lichtung, die man über den Ho-Chi-Minh-Pfad erreichte, hatten die Jungs ihre Freundschaft am meisten genossen, und
plötzlich verspürte David den Drang, dorthin zu gehen.
Er ließ den Ball, mit dem er und Brian etwa eine Milliarde
Spiele gemacht hatten, ein letztesmal aufprallen, ging in die
Knie und warf. Wusch - direkt ins Netz. Als der Ball zu ihm
zurückgehüpft kam, warf er ihn ins Gras. Seine Eltern waren
noch in der Küche, ihre Stimmen tönten immer noch zu dem
offenen Fenster heraus, aber David dachte nicht mal daran, ihnen zu sagen, wohin er ging. Möglicherweise hätten sie es ihm
verboten.
Es kam ihm gar nicht in den Sinn, das Fahrrad zu nehmen.
Er ging mit gesenktem Kopf, und der blaue VOM-UNTERRICHT- FREIGESTELLT-Ausweis ragte immer noch aus seiner Brusttasche, obwohl die Schule inzwischen schon aus war.
Die großen gelben Busse fuhren ihre nachmittäglichen Touren; Scharen kreischender Kinder stürmten an ihm vorbei und
winkten mit Schulbüchern und Butterbrotdosen. David nahm
sie überhaupt nicht zur Kenntnis. Er war mit seinen Gedanken woanders. Später sollte Reverend Martin ihm von der
»leisen, stillen Stimme« Gottes erzählen, und David sollte den
Hauch einer Erinnerung verspüren, aber in dem Moment kam
es ihm nicht wie eine Stimme oder wie ein Gedanke vor, nicht
mal wie eine Eingebung. Sein Denken kreiste immer wieder
darum, daß der ganze Körper nach Wasser verlangte, wenn
man Durst hatte, und man sich schließlich hinlegte und es aus
einer Schlammpfütze trank, wenn es gar nicht anders ging.
Er kam zur Bear Street, dann zum Ho-Chi-Minh-Pfad. Den
schlenderte er langsam entlang, immer noch mit gesenktem
Kopf, so daß er wie ein Gelehrter aussah, der ein gewaltiges
Problem wälzt. Der Ho-Chi-Minh-Pfad war nicht allein seine
und Brians Spielwiese gewesen, viele Kinder passierten ihn
auf dem Hin- und Rückweg zur Schule, aber an jenem Nachmittag war niemand dort gewesen; der Weg schien speziell
für ihn freigemacht worden zu sein. Auf halbem Weg zur
Lichtung fand er die Verpackung eines Schokoriegels Marke
»Three Musketeers« und hob ihn auf. Das waren die einzigen
Schokoriegel, die Brian aß - er nannte sie »Three Muskies« -,
und für David stand außer Frage, daß Brian das Papier einen
oder zwei Tage vor dem Unfall hier weggeworfen hatte. Sonst
war Brian kein Umweltschwein; unter normalen Umständen
hätte er die Verpackung in die Tasche gesteckt. Aber Aber vielleicht hat ihn etwas veranlaßt, die Verpackung fallenzulassen. Etwas, das wußte, daß ich hier entlanggehen würde, nachdem ihn das Auto erfaßt und durch die Luft geschleudert und ihm
den Schädel an den Ziegelsteinen zerbrochen hat, etwas,

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