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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schien ihm echte Mühe zu bereiten. Die
Schwester kam herein und legte ihr einen Arm um die Taille.
»Mrs. ROSS , setzen Sie sich. Dann geht es Ihnen bestimmt
gleich besser.«
» Was für ein Gott läßt einen Mann vergessen, daß er einen kleinen Jungen getötet hat?« hatte Brians Mom geschrien. »Ein Gott,
der will, daß sich dieser Mann besäuft und es wieder tut, so einer!
Ein Gott, der Säufer liebt und kleine Jungs haßt!«
Brian sah mit seinen leeren Augen auf. Hörte die Klage seiner Mutter mit dem wächsernen Ohr. Bekam nichts mit. War
nicht da. Aber …
Doch, flüsterte etwas. Doch, er ist da. Er ist da. Irgendwo.
    »Schwester, können Sie meiner Frau eine Spritze geben?«
hatte Mr. ROSS gefragt. Inzwischen fiel es ihm schwer, sie
daran zu hindern, zurück ans Bett zu laufen und David, ihren
Sohn oder möglicherweise beide zu packen. Etwas in ihrem
Kopf hatte sich losgerissen. Etwas, das eine Menge zu sagen
hatte.
»Ich hole Dr. Burgoyne, er ist nur ein paar Zimmer weiter.«
Sie lief hastig hinaus.
Brians Dad lächelte David kläglich zu. Schweiß lief ihm an
den Wangen hinab und stand als Galaxie winziger Tröpfchen
auf seiner Stirn. Seine Augen waren rot, und David hatte den
Eindruck, als hätte er schon abgenommen. David glaubte
nicht, daß so etwas möglich war, aber es sah so aus. Mr. ROSS hatte einen Arm um die Taille seiner Frau gelegt, mit dem anderen hielt er ihre Schultern umklammert.
»Du mußt jetzt gehen, David«, sagte Mr. ROSS . Er versuchte,
nicht zu keuchen, keuchte aber trotzdem ein wenig. »Uns …
uns geht es nicht so gut.«
Aber ich habe ihm nicht auf Wiedersehen gesagt, wollte David
einwenden, doch dann wurde ihm klar, daß nicht Schweiß an
Mr. ROSS ‘ Wangen hinablief, sondern Tränen. Das gab den
Ausschlag. Erst an der Tür, als er sich umdrehte und Mr. und
Mrs. ROSS zu einer ganzen Elternversammlung verschwimmen sah, wurde ihm klar, daß er auch gleich weinen würde.
»Darf ich wiederkommen, Mr. ROSS ?« fragte er mit brüchiger, bebender Stimme, die er selbst kaum erkannte. »Vielleicht
morgen?«
Mrs. ROSS leistete keine Gegenwehr mehr. Mr. ROSS hatte
die Hände dicht unter ihren Brüsten ineinander verschränkt,
und sie hielt den Kopf gesenkt, so daß ihr die Haare ins Gesicht hingen. Der Anblick rief in David Erinnerungen an die
Ringkämpfe der World Wrestling Federation wach, die er und
Bri sich manchmal angesehen hatten, und wie manchmal ein
Typ einen anderen so umarmte. O Scheiße, die Mumie ist hinter
uns her, dachte David, ohne den geringsten Grund dafür zu
haben.
Mr. ROSS schüttelte langsam den Kopf. »Ich glaube nicht,
Davey.«
»Aber -«
»Nein, ich glaube nicht. Weißt du, die Ärzte sagen, es besteht überhaupt keine Hoffnung, daß Brian wieder … w-wwieder …« Sein Gesicht veränderte sich, wie David es in seinem ganzen Leben noch nie bei einem Erwachsenen gesehen
hatte-es schien von innen her auseinanderzureißen. Erst später, draußen in den Bear Street Woods, konnte er es verarbeiten… gewissermaßen. Er hatte gesehen, was passierte, wenn
jemand, der als Erwachsener noch nie geweint hatte, sich
plötzlich nicht mehr beherrschen konnte. So sah es aus, wenn
der Damm brach.
»O mein Junge!« schrie Mr. ROSS . »O mein Junge!« Er ließ
seine Frau los und fiel zwischen zwei roten Vinylsitzen an die
Wand. Einen Moment stand er noch angelehnt da, dann
klappte er in den Knien zusammen. Er rutschte an der Wand
hinunter, bis er mit zum Bett ausgestreckten Händen und nassen Wangen in der Hocke saß, während ihm der Rotz aus der
Nase hing, das Haar am Hinterkopf in die Höhe stand, das
Hemd aus der Hose rutschte und die Hose selbst so weit hochgeschoben war, daß man die Socken sehen konnte. So saß er
da und heulte. Seine Frau kniete sich neben ihn und nahm ihn
so gut sie konnte in die Arme, und da kam der Arzt herein,
dicht gefolgt von der Schwester, und David ging weinend
hinaus, kämpfte aber gegen ein Schluchzen an. Schließlich befanden sie sich in einem Krankenhaus, wo Leute versuchten,
wieder gesund zu werden.
Davids Vater war so blaß wie seine Mutter, als sie ihm von
Brians Unfall erzählt hatte, und als er Davids Hand nahm,
fühlte seine Haut sich viel kälter an als die von Brian.
»Tut mir leid, daß du das sehen mußtest«, sagte sein Vater,
während sie auf den langsamsten Fahrstuhl der Welt warteten. David hatte den Verdacht, daß er nicht mehr sagen konnte. Während der Heimfahrt setzte Ralph Carver zweimal zum
Sprechen an, verstummte aber

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