Dessen, S
Als ich zurückkehrte, meinte er: »Und das hier ist eindeutig weder anstrengend noch sonderlich schwierig.«
»Es ist einfach nicht dasselbe«, erwiderte ich. »Leistung zu bringen ist nun mal mein Ding, verstehst du? Meine Hauptbeschäftigung und das Einzige, was ich je wirklich gut konnte.«
»Du bist also gut darin, etwas zu leisten?«, fragte er nach.
»Ich bin gut, wenn es ums Lernen geht.« Ich versuchte mich an einem weiteren Wurf und siehe da: Es klappte schon ein wenig besser. »Weil ich mich dabei nie auf andere Leute verlassen musste. Es gab nur mich und das jeweilige Thema oder die jeweilige Aufgabe.«
»Drinnen und bienenfleißig«, fügte er hinzu.
Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, was ihnallerdings weder zu stören noch im Geringsten zu beirren schien. Er reichte mir nur kommentarlos eine weitere Zeitung. Ich warf, als wir uns dem Haus näherten. Traf die Auffahrt. Ein wenig zu weit links, doch Eli fuhr trotzdem netterweise weiter.
»Man macht im Leben nun mal jede Menge Fehler.« Lässig aus dem Handgelenk platzierte Eli eine Zeitung vor dem Eingang zu einem Doppelhaus, ehe er um die nächste Ecke bog. »Manchmal versagt man eben, das ist nicht zu vermeiden. Es gehört zum Menschsein zwangsläufig dazu.«
»Ich habe durchaus schon versagt«, erklärte ich.
»Ach ja? Wobei?«
Ich zermarterte mir das Hirn, das allerdings plötzlich völlig leer war – fürs Argumentieren kein besonders hilfreicher Zustand. Endlich fiel mir eine Antwort ein: »In puncto Sozialleben war ich die totale Niete.«
Er bog wieder ab, warf treffsicher ein paar Zeitungen auf ein paar Türschwellen, während wir eine dunkle Straße entlangfuhren. »Aber du hast nie versucht, dich zur Ballkönigin wählen zu lassen, und dabei verloren, oder?«
»Ich wollte auch nie Ballkönigin sein«, antwortete ich, »oder so was in der Art.«
»Dann hast du nicht versagt, sondern dich bloß aus bestimmten Aktivitäten ausgeklinkt. Das ist etwas vollkommen anderes.«
Worüber ich einen Augenblick lang nachdenken musste, während wir die nächste Straße entlangtuckerten. Er überließ mir keine einzige Zeitung mehr, sondernbeförderte sie alle selbst an die richtigen Stellen. »Und du?«, fragte ich schließlich. »Worin hast du versagt?«
»Du solltest besser fragen, worin ich
nicht
versagt habe.« Er hielt vor einem Stoppschild an.
»Ist nicht wahr.«
»Doch.« Eli hielt eine Hand hoch, zählte an den Fingern ab: »Algebra. Football. Lacey McIntyre. Skateboard in der Halfpipe …«
»Lacey McIntyre?«
»Achte Klasse. Monatelang habe ich Mut gesammelt, um sie zu fragen, ob sie mit mir auf eine Party geht. Und dann lässt sich mich mittags in der Cafeteria vor der versammelten Meute abblitzen.«
»Autsch.«
»Du sagst es.« Er bog in die nächste Straße ein.
Zack zack.
Zwei Treffer. »Es hinkriegen, dass Belindas Vater mich nicht hasst, was er im Übrigen immer noch tut. Meinen kleinen Bruder dazu bringen, dass er sich nicht dauernd wie ein Trottel aufführt. Lernen, wie ich mein eigenes Auto repariere.«
»Wow. Ganz schön lang, deine Liste.«
»Habe ich es dir nicht gesagt? Ich bin gut darin, schlecht zu sein.«
Wir näherten uns dem nächsten Stoppschild. Ich warf ihm einen Blick von der Seite zu. »Trotzdem lässt du dich davon nicht entmutigen.«
»Doch, natürlich«, antwortete er. »Zu versagen ist ätzend, aber immer noch besser als die Alternative.«
»Und die wäre?«
»Es gar nicht erst zu versuchen.« Er erwiderte meinenBlick, sah mir direkt in die Augen. »Das Leben ist kurz.«
Ich hatte Abe nicht kennengelernt. (Wie auch?) Wusste abgesehen von den wenigen Dingen, die Maggie und Leah erzählt hatten, kaum etwas über ihn. Trotzdem hatte ich in diesem Moment auf einmal das Gefühl, ich könnte seine Gegenwart spüren. Als säße er auf meinem Platz, würde mit uns durch die Gegend fahren.
Eli bog in die nächste Querstraße ein. Die Gegend kam mir plötzlich bekannt vor: Wir näherten uns dem Block, wo das Haus meines Vaters stand. Und da kam es auch schon in Blickweite – auf meiner Seite! Ausgerechnet. Was unbedingt ein Zeichen war. Ich streckte die Hand aus, nahm eine Zeitung von dem Stapel zwischen uns. »Okay«, sagte ich. »Das hier übernehme ich.«
Ich versuchte, meinen Ellbogen so aufzustützen, wie ich es bei Eli beobachtet hatte (um die Hebelwirkung zu verstärken, wie bei einem Katapult), bog mein Handgelenk nach hinten und zielte dieses Mal nicht Richtung Auffahrt, sondern zur
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