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Dessen, S

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Titel: Dessen, S Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Because of you
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immer noch einfach nur vor mir, erwiderte meinen Blick. Plötzlich sah ich uns wie von außen: in seiner kleinen Wohnung, mitten in der Nacht. Von einem Flugzeug aus würde man nur ein kleines Licht mitten im weitläufigen Dunkel sehen, ohne eine Ahnung von den Leben, die da gelebt wurden. Und von denen im Nachbarhausund in dem Haus daneben ebenso wenig   … Kein Wunder, dass der Mensch ab und zu schlafen musste, um den vielen Leben gelegentlich zu entkommen.
    Vom Herd ertönte ein unvermitteltes
Plopp
. Eli warf einen Blick über die Schulter. »Ups.« Drehte sich um, nahm den Topf vom Herd. »Moment, lass mich das eben fertig machen.«
    Ich wischte mir die Augen, versuchte, mich zusammenzureißen. »Was machst du da eigentlich?«
    »Kleine Rice-Crispies-Schweinerei.«
    Das kam mir in diesem Moment so schräg und unpassend vor, dass es fast schon wieder einen Sinn ergab. Trotzdem konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen: »Warum?«
    »Weil Mom immer dasselbe gemacht hat, wenn eine von meinen Schwestern geheult hat.« Er warf mir einen Blick über die Schulter zu, ohne sich richtig umzudrehen. »Keine Ahnung. Ich habe dir doch gesagt, ich habe nie Besuch. Du warst völlig fertig, da dachte ich eben   …«
    Er brach ab. Ich schaute mich im Zimmer um, nahm das einfache Bett, den einzigen Stuhl wahr, als sähe ich sie zum ersten Mal. Sah das Licht draußen über der Tür, das gelb und hell leuchten würde, die ganze Nacht.
    »…   genau so etwas brauchen wir jetzt«, vollendete ich seinen Satz für ihn. »Ja. Perfekt.«
    ***
    Natürlich war nichts wirklich perfekt. Aber Elis kleine, süße Rice-Crispies-Schweinerei kam ziemlich nah dran. Wir teilten uns eine Kanne Kaffee und den halben Topfinhalt,wobei wir den Stuhl zum Tisch umfunktionierten und uns gegenüber auf dem Boden saßen.
    »Lass mich raten   …« Ich stellte den Becher neben meinen Füßen ab. »Du bist Minimalist.«
    Er sah sich im Zimmer um, dann wieder mich an. »Findest du?«
    »Eli. Du hast einen einzigen Stuhl!«
    »Schon, aber nur, weil alle Möbel in der alten Wohnung Abe gehört haben.«
    Es war geradezu ein Schock, ihn den Namen selbst aussprechen zu hören. Ich musste mich total zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken. Überspielte das, indem ich einen Schluck Kaffee trank. »Wirklich?«
    »Ja.« Er lehnte sich etwas zurück, knibbelte einen klebrigen Klumpen Rice-Crispies-Masse vom Topfrand. »Kaum hatte er mit dem Radfahren ein bisschen Preisgeld verdient, fing er wie ein Wilder an, unsere Wohnung auszustaffieren. Er hat wirklich den größten Käse gekauft. Einen gigantischen Fernseher, singende Fische   …«
    »Singende Fische?«
    »Du weißt schon, diese Plastikteile, die man an die Wand hängt. Und wenn einer vorbeikommt, fangen sie an zu singen.« Ich muss ihn einigermaßen fassungslos angestarrt haben, denn er fuhr fort: »Okay, dann weißt du eben nichts von der Existenz dieses wertvollen Dekorationsobjekts. Du Glückliche. Die singenden Fische bildeten gewissermaßen unseren Lebensmittelpunkt. Er hängte sie nämlich gleich neben die Wohnzimmertür, sodass sie ständig losträllerten.«
    Ich lächelte. »Klingt aufregend.«
    »Den Ausdruck würde ich nicht gerade verwenden.« Er schüttelte den Kopf. »Außerdem bestand er darauf, mehrere von diesen riesigen Rattansesseln in die Bude zu stellen, weißt du, diese runden mit den ultraweichen Kissen? Ich wollte ein ganz normales, simples Sofa. Aber nein, er musste unbedingt die blöden Dinger anschaffen, in denen die Leute versanken wie im Moor. Alleine kam da niemand mehr raus, wenn er erst mal so unvorsichtig gewesen war, sich reinzusetzen. Ständig mussten wir Leute aus den Sesseln ziehen, wie bei einer verfluchten Bergungsaktion.«
    »Du machst Witze.«
    »Nein, das ist mein voller Ernst. Es war echt absurd.« Eli seufzte. »Und dann die Sache mit dem Wasserbett. Abe meinte, er hätte sich schon immer eins gewünscht. Und hat nie zugegeben, dass es der totale Reinfall war, sogar als es leckte und er irre Rückenschmerzen bekam. ›Ich muss irgendetwas verschüttet haben‹, behauptete er dann, oder ›Mann, beim letzten Rennen habe ich mir echt einen Muskel gezerrt‹. Er ist wie ein alter Mann durch die Gegend gehumpelt und hat vor sich hin gejammert. Die ganze Nacht hat er sich rumgewälzt. Es war wie so eine Art Dauerquietschfolter.«
    Ich lachte. »Und dann? Hat er es irgendwann eingesehen?«
    »Nein«, antwortete Eli. »Er ist gestorben.«
    Was ich natürlich wusste.

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