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Dessen, S

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Titel: Dessen, S Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Because of you
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Aber so, wie er es sagte, fühlte ich mich wie vor den Kopf gestoßen. »Tut mir leid«, sagte ich, »ich   …«
    Er schnitt mir das Wort ab: »Verstehst du, genau das istdas Problem.« Er lehnte sich zurück, schüttelte den Kopf. »Jeder will dauernd diese oder jene Geschichten erzählen, am liebsten gleich alle auf einmal. Bei der Beerdigung, danach – lauter Anekdoten. Das war alles, was die Leute erzählen und hören wollten. Weißt du das noch, und das, und   … ach ja, erinnerst du dich an das? Dabei enden alle Geschichten gleich. Er stirbt. Das wird sich niemals ändern. Warum also überhaupt erst mit Erzählen anfangen?«
    Einen Moment lang schwiegen wir beide. Schließlich sagte ich: »Ich glaube, das ist für viele der Weg, sich zu erinnern. Indem sie Geschichten erzählen. Dadurch bleibt ihnen der Mensch irgendwie nah.«
    »Das Problem habe ich aber nicht«, erwiderte Eli leise. »Dass ich mich nicht erinnere.«
    »Ich weiß«, antwortete ich.
    »Sollen wir noch mal drüber reden, wer wie versagt hat?« Er sah auf. Sah mir in die Augen. »Stell dir probeweise vor,
du
bist diejenige, die am Steuer sitzt. Die überlebt.«
    »Eli«, fing ich an. Versuchte, so gelassen und beruhigend zu klingen wie er vorhin, als er mich getröstet hatte. »Es war nicht deine Schuld, sondern ein Unfall.«
    Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Vielleicht. Unterm Strich bleibt trotzdem die Tatsache, dass ich hier bin. Er nicht. Was alle sehen, denen ich begegne – seine Eltern, seine Freundin, seine Freunde. Und das ist einfach der Horror.«
    »Ich bin sicher, dass sie es dir nicht zum Vorwurf machen«, antwortete ich.
    »Brauchen sie gar nicht.« Er starrte für einen Augenblick in seinen Kaffee. »Seit es passiert ist, kann ich an nichts anderes mehr denken als an Was-wäre-wenn. Wenn wir eher von dieser Party weggefahren wären, oder später. Wenn ich das Auto eine Sekunde früher bemerkt hätte. Wenn er an meiner Stelle gefahren wäre. Es gibt Variablen, und wenn auch nur eine anders gewesen wäre, vielleicht hätte das alles geändert.«
    Wieder schwiegen wir eine Weile. Schließlich sagte ich: »So darfst du trotzdem nicht denken. Du machst dich sonst noch verrückt.«
    »Sagst ausgerechnet du.« Er stand auf. Während er das Tablett zur Küchenzeile trug, hörte ich durch die Wand neben seinem Bett ein dumpfes Geräusch. Und noch einmal. Ich stand auf, trater dichter ran.
    »Das sind die McConners«, meinte Eli aus der Küche.
    »Die wer?«
    Er kam zu mir. »Die McConners. Ihnen gehört das Haus. Das Zimmer ihres Sohns ist gleich nebenan.«
    »Ach so.«
    »Normalerweise wacht er ein- bis zweimal pro Nacht auf. Will Wasser und so weiter.« Eli setzte sich aufs Bett. Die Sprungfedern quietschten leise. »Wenn es richtig still ist, kann ich jedes Wort verstehen.«
    Ich setzte mich neben ihn, horchte angestrengt. Doch alles was ich hörte war Gemurmel. Zwei Stimmen, die eine hoch, die andere tiefer. Ein bisschen wie Heidis Wellenapparat, ein entferntes Rauschen.
    »Ich war auch so drauf«, sagte Eli. Beide flüsterten wir unwillkürlich. »Als ich klein war. Dies ständige Mittenin-der-Nacht-Aufwachen,etwas zu trinken wollen   … ich weiß es noch genau.«
    »Bei mir lief es anders«, sagte ich. »Meine Eltern brauchten ihren Schlaf.«
    Er schüttelte den Kopf, ließ sich aufs Bett sinken, verschränkte die Arme vor der Brust. Durch die Wand war zu hören, dass die Verhandlungen auf der anderen Seite fortgesetzt wurden. Die hohe Stimme wurde noch höher, die tiefere antwortete gelassen. »Du hast dir ihretwegen immer einen ziemlichen Kopf gemacht, oder?«
    »Ja, schon.« Ich unterdrückte ein Gähnen, sah auf meine Armbanduhr. Es war halb fünf. Sonst machte ich mich um diese Zeit üblicherweise auf den Heimweg. Das Gemurmel nebenan ging weiter, ich lauschte und ließ mich dabei neben Eli aufs Bett gleiten. Legte den Kopf auf seine Brust. Sein T-Shirt an meiner Wange fühlte sich so weich an. Und es roch nach dem Waschmittel aus dem Waschsalon.
    »Es ist spät«, sagte ich leise. »Das Kind sollte endlich schlafen.«
    »Was nicht immer so einfach ist.« Er sprach leise und ruhig und ich spürte, wie seine Lippen sanft meinen Kopf berührten.
    Das Licht in Elis Küchenzeile brannte noch, aber ich machte einfach die Augen zu. Hörte den Stimmen auf der anderen Seite der Wand zu.
Sch, sch, alles gut
, sagte eine – zumindest bildete ich mir das felsenfest ein. Vielleicht war es aber auch die Stimme in meinem Kopf, mein

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