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Dessen, S

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Titel: Dessen, S Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Because of you
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seinem Seminar und wie toll es war. Ihm beim Schwärmen zuzuhören kam mir sehr bekannt vor. Es fühlte sich alles so vertraut an, als würde die Zeit rückwärts laufen, als wäre es wieder das Frühjahr, in dem wir mittags zusammen in der Cafeteria gegessen hatten, über unsere Kurse redeten, über Schule im Allgemeinen. Und als er sich schließlich räusperte und meinte, er würde mich gern etwas fragen, war mir auch das sehr vertraut und ich sagte einfach zu.
    Ich betrachtete Heidi, die aus dem Fenster über der Spüle starrte. Ich dachte daran, wie ich sie zu Anfang eingeschätzt hatte. Und dass diese Einschätzung ausschließlich auf meinem Urteil über ihren Kleidungsstil und ihre übersprudelnden E-Mails beruhte. Bei meiner Ankunft hier hatte ich mich so überlegen gefühlt. Was für ein Irrtum.
    »Darf ich dich etwas fragen?«
    Sie sah mich an. »Selbstverständlich.«
    »Vor ein paar Wochen hast du etwas über meine Mutter gesagt. Dass sie kein kaltes, dominantes Biest sein könnte«, begann ich, »weil die immer einsam und verlassen enden würden. Erinnerst du dich?«
    Heidi dachte angestrengt nach. »Vage.«
    »Und dann meintest du noch, du wüsstest über kalte Biester Bescheid, weil du selbst eins gewesen wärst.«
    »Stimmt«, erwiderte sie. »Was möchtest du mich fragen?«
    »Ich wollte   …« Ich hielt inne. »Warst du wirklich eins?«
    »Ein kaltes Biest?«
    Ich nickte.
    »Aber ja. Total.«
    »Das kann ich mir einfach nicht vorstellen«, antwortete ich. »Ich meine, so wie du jetzt auf mich wirkst   …«
    Heidi lächelte. »Du kennst mich eben erst, seit ich wieder hier bin und deinen Vater kennengelernt habe. Als ich gerade mein BW L-Studium abgeschlossen hatte, war ich verklemmt, verkrampft, hyperehrgeizig. Rücksichtslos, um genau zu sein. Ich rackerte mich ab, sparte wie ein Weltmeister und wollte mit dem Geld eine Boutique in New York eröffnen. Ich hatte einen Geschäftsplan, Kontakte zu Investoren, einen Kredit   … was eben so dazugehört. Alles andere war unwichtig.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du in New York gewohnt hast.«
    »Das hatte ich nach dem Studium vor, so sah der Plan aus«, antwortete sie. »Aber dann wurde meine Mutter krank und ich musste den Sommer über herkommen, nach Colby, um mich um sie zu kümmern. Isabel und Morgan kannte ich noch von der Schule. Über sie bekam ich einen Job als Kellnerin im
Last Chance
, damit ich mir für meinen Umzug nach New York ein bisschen was dazuverdienen konnte.«
    »Du hast im
Last Chance
gearbeitet?«
    »So hab ich deinen Vater kennengelernt«, erwidertesie. »Er hatte gerade sein Vorstellungsgespräch mit dem Dekan am
Weymar
hinter sich, aß bei uns zu Mittag. Es war nicht viel los, wir hatten Zeit, uns zu unterhalten – und ab da hat sich das zwischen uns einfach entwickelt. Als der Sommer vorbei war, ging es meiner Mutter, wenigstens eine Zeit lang, etwas besser. Ich verabschiedete mich von deinem Vater und zog nach New York. Doch kaum war ich da, fühlte es sich irgendwie falsch an. Ich war nicht mehr so scharf drauf.«
    »Wow.«
    Sie atmete tief durch. »Als ich nach dem Studium nach Colby zurückkam, hatte ich fest vor, so schnell wie möglich wieder abzuhauen. Es war als Boxenstopp gedacht gewesen, nicht als Ziel. Ich hatte mein ganzes Leben bereits minutiös durchgeplant, so eine Art innere Landkarte gezeichnet.«
    »Und wodurch änderte sich das?«
    »Meine Landkarte war anscheinend doch nicht meine, wie sich herausstellte«, sagte sie. »Deshalb verließ ich New York wieder, heiratete deinen Vater, investierte meine Ersparnisse, um das
Clementine's
zu eröffnen. Und so merkwürdig es auch vielleicht klingt –
das
fühlte sich richtig an. Vollkommen anders als geplant, aber genau richtig.«
    Ich sah ihr trauriges Gesicht vor mir, als ich das eine Mal nach Hause gekommen war und sie mir von dem Streit mit meinem Vater erzählt hatte. »Ist es immer noch so? Richtig, meine ich.«
    Heidi sah mich eine Weile schweigend an. Schließlich meinte sie: »Im Grunde ja. Natürlich wünschte ich mir, die Dinge zwischen deinem Vater und mir lägen anders.Aber ich habe Thisbe und meine Arbeit   … Ich habe, was ich wollte, selbst wenn es nicht perfekt ist. Wäre ich in New York geblieben, hätte ich vermutlich immer weiter nach Perfektion gesucht.«
    »Ein Leben ohne Färbung«, sagte ich.
    »Bitte?«
    »Ich schüttelte den Kopf. »Nichts.«
    Heidi schob den Stuhl zurück. »Im Nachhinein betrachtet, ist es doch so: Ich bin in die

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