Dessen, S
viel Mühe darauf zu verwenden. Und jetzt wurde mir klar, wie recht ich gehabt hatte: So schwierig es war, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen – so einfach verlor man sie auch wieder.
Lange Zeit hockte ich einfach da und beobachtete die Leute, die an mir vorbei den Strand entlangspazierten. Familien … Kinder, die vor ihren Eltern herrannten und kreischend der Brandung auswichen. Händchenhaltende Paare. Mädchen-Cliquen, Jungs-Cliquen. Surfer, die sogar noch in der einbrechenden Dunkelheit die Wellen in Angriff nahmen. Doch allmählich wurde es am Strand immer leerer. In den Häusern hinter mir und auf dem Pier gingen die Lichter an. Die Nacht fing gerade erst an, bis zum Morgen würde noch so viel Zeit vergehen. Schon allein der Gedanke erschöpfte mich.
»Auden?«
Ich fuhr zusammen. Drehte mich um. Maggie hatte sich unbemerkt zu mir gesellt. Die Promenade hinter ihr glich einer Perlenschnur aus Lichtern.
»Alles gut?«, fragte sie mich. Ich antwortete nicht. Sie fügte hinzu: »Als du vorhin gingst, kamst du mir ein bisschen traurig vor.«
Plötzlich sah ich meine Mutter wieder vor mir: Wie abschätzig sie Maggie, die Bikini-Unterteile, die Flakons mit
Booty Berry und
schließlich auch mich gemustert und flugs in die Gefällt-mir-nicht-Kategorie eingeordnet hatte. Womit ich genau dort angelangt war, wo ich, seit ich denken konnte, nie hatte sein wollen. Das Reich ihres Missfallens war so groß und ich hatte immer alles mir Mögliche getan, um nicht hineinzugeraten. Doch nun war es passiert, ich steckte mittendrin. Wobei mir klar wurde, dass es mich irgendwie erleichterte, nicht allein zu sein.
»Nein«, antwortete ich. »Mir geht es nicht gut, glaube ich.«
Welche Reaktion ich erwartet hatte? Keine Ahnung. Von diesem Moment an betrat ich komplettes Neuland. Zumindest für mich, denn Maggie kannte sich offenkundig aus. Sie schüttelte ihre Tasche von der Schulter und ließ sie mit einem sanften
Plumps
auf den Sand fallen, ehe sie sich neben mich setzte. Weder zog sie mich in eine freundschaftlich mitfühlende Umarmung, noch versuchte sie, mich mit irgendwelchen netten Belanglosigkeiten zu trösten – in beiden Fällen wäre ich schreiend weggerannt. Nein, sie war einfach nur da. Und wusste, noch bevor es mir selbst klar wurde, dass ich genau das in diesem Moment am notwendigsten brauchte. Und nur das.
Acht
»Ich finde, wenn man Kaugummi kauft, braucht man noch etwas dazu«, sagte Maggie. »Denn Kaugummi ist nicht wirklich etwas zu essen, zählt deshalb nicht als Snack.«
»Stimmt«, meinte Esther.
»Wenn ich Kaugummi kaufe, dann nur zusammen mit einer Tüte Chips oder einem Doppelschokoriegel oder so etwas. Dann kann ich mir sicher sein, dass ich erst etwas zu essen habe und dann noch was Erfrischendes, eine Art Dessert.«
Leah schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht …«, sagte sie. »Was ist mit TicTacs? Sie sind so ähnlich wie Kaugummi, aber ihr wisst ja, dass ich ganze Mahlzeiten damit bestreiten kann.«
»Weil man TicTacs runterschlucken kann«, bemerkte Esther. »Ein TicTac besitzt man, während man ein Kaugummi nur ausleiht.«
Maggie wandte sich ihr lächelnd zu. »Ich bin schwer beeindruckt.«
»Danke«, antwortete Esther. »Der Tankstellenshop inspiriert mich immer enorm.«
Mich inspirierte er nicht. Ich fühlte mich nur deplatziert, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Eben noch hatte ich mutterseelenallein am Strand gehockt und im nächsten Moment stand ich hier, Teil einer Clique, irgendein Mädchen mit drei anderen Mädchen – vielleicht sogar ein Mädchen, das auf dem besten Weg war, zur Tankstellenshop-Stammkundin zu mutieren …
Als Maggie sich zu mir gesetzt hatte, hatte ich keine Ahnung, was mir bevorstand. Klar, ich hatte immer Freundinnen in der Schule gehabt, aber wir hatten nie Mädchensachen zusammen gemacht. Alles drehte sich nur um den Unterricht, die Lehrer, die Fächer. Meine einzigen Anhaltspunkte dafür, wie Mädchen sonst miteinander umgingen, hatte ich aus dem Fernsehen, wenn ich beim Zappen für ein paar Minuten bei irgendeinem Frauenfilm hängen blieb. Da bestanden Freundschaften hauptsächlich daraus, gemeinsam zu viel Alkohol zu trinken, funky Musik zu hören und/oder wild zu tanzen. Doch weil das alles in meiner Welt nicht passieren würde – auch wenn ich noch so deprimiert war,
das
würde ich niemals zulassen –, konnte ich nur darauf warten, was wohl als Nächstes geschehen würde.
Nach längerem Schweigen machte Maggie den Mund auf. Und schaffte
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