Dessen, S
es wieder einmal, mich zu verblüffen. »Deine Mutter ist ein ganz schön harter Brocken, hm?«
Ich sah sie an. Sie hatte die Knie an die Brust gezogen und blickte übers Meer. Die Haare wehten ihr ins Gesicht.
»So kann man es auch ausdrücken«, erwiderte ich.
Sie lächelte, nahm ihre Tasche und begann, darin herumzukramen. Sie holte eine Zeitschrift hervor. Ichmachte mich innerlich schon darauf gefasst, dass meine Mutter, ich, unser Verhältnis zueinander oder alles zusammen nun mit dem Schicksal irgendeiner Hollywoodschönheit verglichen werden würde. Stellte jedoch entgeistert fest, dass es sich gar nicht um eins ihrer heißgeliebten Hochglanzmagazine handelte, sondern um ein Vorlesungsverzeichnis der Uni, an der meine Mutter unterrichtete. Maggie blätterte bis zu einer Seite, deren Ecke umgeknickt war, und hielt sie mir hin.
U ENGLISH AND YOU
stand da. Im Halbdunkel konnte ich es kaum entziffern, doch das Foto meiner Mutter – sie saß in einem Seminarraum am Tisch, hielt ihre Brille in der Hand und ganz offensichtlich einen gelehrten Vortrag – hätte ich auf jede Entfernung und noch im trübsten Dämmerlicht erkannt.
»Wo hast du den her?«, fragte ich.
»Den haben sie mir zusammen mit den Bewerbungsunterlagen geschickt. Ich habe mich vor allem wegen des Anglistik-Instituts da beworben.«
»Du gehst demnächst auf Moms Uni?«
Sie schüttelte den Kopf und es tat mir sofort leid, dass ich überhaupt nachgefragt hatte, weil sie offenbar abgelehnt worden war. »Aber ich habe mich ausgiebig darüber informiert. Als ich deine Mutter heute im
Clementine's
sah, kam sie mir sofort bekannt vor, ich wusste allerdings nicht woher, bis ich dann über das Vorlesungsverzeichnis gestolpert bin.«
Ich klappte das Heft langsam zu. »Sie ist … kompliziert«, antwortete ich. »Es ist nicht immer einfach, ihre Tochter zu sein.«
»Ich glaube, manchmal ist es schwierig, egal wessen Tochter man ist«, erwiderte Maggie.
Was mich ins Grübeln brachte, während ich ihr den Katalog zurückgab und sie ihn wieder in ihre Tasche steckte. Schweigend saßen wir da, blickten aufs Meer. Mir kam plötzlich der Gedanke, dass ich niemals damit gerechnet hätte, ausgerechnet mit ihr so dazusitzen, nebeneinander, beinahe einträchtig. Mit allen möglichen Leuten, die ich in Colby bisher kennengelernt hatte, vielleicht. Aber doch nicht mit Maggie. Woraufhin mir noch etwas anderes einfiel.
»Das mit Jake hatte nicht die geringste Bedeutung«, sagte ich deshalb schließlich. »Im Gegenteil, es ist mir peinlich, dass ich überhaupt etwas mit ihm zu tun hatte.«
Sie nickte langsam. »Ja, das geht vielen Menschen so.«
»Trotzdem, ich meine das ganz ernst. Wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte …« – ich atmete tief durch – »… ich würde es auf keinen Fall noch mal machen.«
»Dabei war es nur eine Nacht.« Sie streckte die Beine aus. »Stell dir vor, du hättest zwei volle Jahre deines Lebens an ihn verschwendet, so wie ich.«
Konnte ich natürlich nicht. Ich hatte noch nie einen Freund gehabt, nicht mal einen miesen. »Du hast ihn eben wirklich geliebt«, sagte ich.
»Ja, habe ich.« Ganz schlicht sagte sie das. Weil es eben die Wahrheit war. »Aber sowas hat wahrscheinlich jeder, oder?«
»Was hat jeder?«
»Eine erste große Liebe. Und eine, bei der einem das Herz gebrochen wird. In meinem Fall handelt es sichdabei eben zufällig um ein und dieselbe Person. Zumindest habe ich nicht viel Zeit oder Energie verschwendet, sondern alles in einem Aufwasch erledigt.« Wieder kramte sie in der Tasche, bis sie schließlich ein Päckchen Kaugummi gefunden hatte.
»Alle«, sagte sie stirnrunzelnd. »Höchste Zeit, bei der Tanke aufzuschlagen.«
Sie stand auf, bürstete sich den Sand ab, schnappte sich ihre Tasche. Ich blieb sitzen, sah zu. Sagte schließlich: »Danke. Dass du dich nach mir erkundigst hast, meine ich.«
»Kommst du denn nicht mit?«, fragte sie.
»Zur Tankstelle?«
»Wohin auch immer.« Sie schlang sich den Riemen der Tasche über die Schulter. »Natürlich kannst du auch einfach hier hocken bleiben. Aber es kommt mir ziemlich einsam vor. Vor allem, weil du sowieso schon mies drauf bist.«
Ich rührte mich immer noch nicht vom Fleck. Sah sie stumm an. War kurz davor, ihr zu sagen, dass ich gern allein war und mich dabei gar nicht einsam fühlte, selbst wenn ich obermies drauf war; dass ich manchmal sogar lieber allein war als in Gesellschaft. Doch dann fiel mir wieder ein, wie ich mich gefühlt
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