Dessen, S
je gegessen hatte. Auf dem Pier angeln und das Meeresleuchten beobachten. Wenn ich mit der Arbeit in der Boutique fertig war, plauderte ich in der Regel noch eine Zeit lang mit den Mädels, verabschiedete mich dann und zog allein los. Fünfzehn Minuten, eine halbe Stunde, eineStunde später, an der Tankstelle oder im
Beach Beans
, begegnete ich unweigerlich Eli. Und das Abenteuer konnte beginnen.
»Wie schafft es jemand, achtzehn zu werden, ohne je zum Bowlen gegangen zu sein?«, hatte er mich am Abend vorher gefragt.
Wir waren im
Ten Pin
, einer Bowlingbahn, die bis in die Nacht geöffnet hatte. Die Bahnen waren schmal, die Bänke klebten und ich wollte gar nicht so genau wissen, was mit den Schuhen los war, die ich hatte ausleihen müssen. Aber nachdem Eli erfahren hatte, dass Bowlen eins der vielen Dinge war, auf die ich bisher verzichten musste, bestand er darauf, dass wir die fünfzig Kilometer hierherfuhren.
»Ich habe dir doch schon gesagt, auf Sport haben meine Eltern keinen großen Wert gelegt«, meinte ich. Eli setzte sich auf die Bank vor unsere Bahn und schob den Punktestand-Zettel unter den angerosteten Metallbügel eines Klemmbretts.
»Bowling findet drinnen statt, nicht draußen«, sagte er. »Deshalb bist du garantiert ein Naturtalent.«
Ich schnitt eine Grimasse. »Als ich dir erzählt hab, was ich früher alles verpasst habe, meinte ich damit nicht, dass es mir bei
allem
leidtut.«
»Aber nie im Leben beim Bowlen gewesen zu sein würde dir leidtun«, erwiderte Eli und hielt mir einen Ball hin. »Hier.« Ich nahm ihn, steckte meine Finger so in die Löcher, wie er es mir zeigte. »Als wir klein waren«, sagte er, »haben wir es gelernt, indem wir uns hingehockt und die Kugel mit beiden Händen geschoben haben.«
Ich ließ meinen Blick über die Bahnen rechts und links von uns wandern, die leer waren – klar, um zwei Uhr nachts. Die einzigen Leute außer uns saßen an der Bar, die wegen Zigarettenrauchs kaum zu erkennen war. »Ich hocke mich hier nirgends hin«, sagte ich entschieden.
»Okay. Dann musst du gleich die richtige Wurftechnik lernen.« Er hob die Hände, als würde er einen imaginären Bowlingball halten, trat einen Schritt vor, machte eine Bewegung nach unten und vorne und öffnete die Finger, als würde er etwas Schweres loslassen. »So. Okay?«
»Okay.«
Ich hob die Hand mit dem Ball. Eli stand dicht neben mir. Ich warf ihm einen Blick zu. Achselzuckend zog er sich auf die klebrige, schmierige Bank zurück.
Ungefähr so lief es, seit wir vor einer Woche zum ersten Mal miteinander herumgezogen waren. Ein ständiges Hin und Her, ein Art Dauerpingpong, mal ernst, mal nicht, und alles zwischen Schlafengehenszeit und Sonnenaufgang. Vermutlich hätte ich Eli auch ganz gut kennengelernt, wenn wir tagsüber so viel Zeit miteinander verbracht hätten. Aber so gut auf keinen Fall. Die Nacht veränderte alles, erweiterte den Horizont, die Möglichkeiten. Was wir zueinander sagten, miteinander unternahmen, gewann durch die Dunkelheit an Bedeutung. Als würde die Zeit gleichzeitig beschleunigt
und
verlangsamt.
Vielleicht unterhielten wir uns deshalb ununterbrochen – jedenfalls kam es mir so vor – über das Thema Zeit: Wenn wir unter grellem Neonlicht die Gänge imSupermarkt entlangliefen, oder Kaffee tranken, während seine Wäsche nebenan schleuderte, oder auch beim Fahren von A nach B durch die überwiegend leeren Straßen. Zeit, die vor uns lag, wie das Studium, oder die wir schon hinter uns hatten, wie die Kindheit. Aber am allermeisten diskutierten wir darüber, wie man verlorene Zeit gutmachen konnte, sofern das möglich war. Eli hielt das offenbar für möglich, zumindest in meinem Fall.
»Kennst du den Spruch?«, hatte er mich ein paar Nächte zuvor gefragt, als wir uns gegen drei Uhr im Tankstellenshop ein paar Smoothies besorgten. »Für eine glückliche Kindheit ist es nie zu spät.«
Ich nahm einen Strohhalm und stocherte damit in der rosafarbenen Masse in meinem Becher herum. »Ich würde gar nicht behaupten, dass meine Kindheit unglücklich war. Sie war bloß nicht …«
Eli wartete geduldig, dass ich weitersprach, und verschloss seinen Becher mit einem Deckel –
klick
.
»… sehr kindmäßig«, sagte ich in Ermangelung eines besseren Worts und trank einen Schluck von meinem Smoothie. »Mein Bruder war ein so nerviges Baby gewesen, dass meine Eltern irgendwie keine Lust mehr auf den ganzen üblichen Kinderkram hatten. Ihnen fehlte einfach die Geduld, mit
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