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Dessen, S

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Titel: Dessen, S Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Because of you
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uns unterstützen?«
    Heidi blinzelte verwirrt. Sie sah wirklich aus wie die Kriegsgefangenen, von denen ich Fotos in Geschichtsbücherngesehen hatte, genauso neben sich und verstört. »Ja, hat sie«, entgegnete sie, »aber   …«
    »Rufen wir sie doch gleich an«, sagte mein Vater. »Damit sie sich ihre Meriten als Patentante endlich mal verdienen kann. Ich tue es, wenn du möchtest. Gibst du mir ihre Nummer?«
    »Sie ist verreist«, erwiderte Heidi.
    »Ach so.« Mein Vater dachte eine Sekunde lang nach. Und drehte sich dann langsam zu mir um. »Äh   … Auden? Was meinst du? Könntest du vielleicht einspringen?«
    Heidi warf mir einen Blick zu, schüttelte verneinend den Kopf. »Nein, das ist nicht fair. Wir können dich nicht einfach zwangsverpflichten.«
    »Ich bin mir sicher, es macht Auden nichts aus«, antwortete mein Vater und fuhr, an mich gewandt, fort: »Oder? Es wäre ja höchstens für ein paar Stunden.«
    Wahrscheinlich hätte ich mich darüber ärgern soll, wie selbstverständlich er über mich verfügte, aber wenn ich Heidi so betrachtete, kam es mir weniger wie eine Gefälligkeit vor als wie ein dringend notwendiges Eingreifen. »Klar, kein Problem«, lautete deshalb meine Antwort.
    »Aber du musst arbeiten«, antwortete Heidi und verlagerte Thisbe auf ihren anderen Arm, wodurch das Gebrüll weder leiser wurde geschweige denn aufhörte. »Die Buchhaltung   … morgen müssen die Gehaltsschecks raus   …«
    »Na ja«, meinte Dad, wobei er mir einen auffordernden Blick zuwarf. »Vielleicht   …«
    Mir wurde bewusst, dass er das oft machte, diese Fast-Masche, Sätze nicht zu vollenden, vielsagend abzubrechen,sodass man sich auf seltsame Weise bemüßigt fühlte, seinen Gedankengang für ihn fortzusetzen. »Ich nehme sie einfach mit«, sagte ich zu Heidi. »Du kannst sie ja abholen, wenn ihr vom Essen zurückkommt.«
    »Ich weiß nicht.« Sie schuckelte Thisbe beruhigend. »Sie ist nicht gerade in der richtigen Verfassung für einen kleinen Ausflug.«
    Mein Vater hielt unbeirrbar dagegen: »Die frische Seeluft wird ihr gut tun!« Er streckte die Arme aus, um ihr das Baby abzunehmen, lächelte offensiv in das verzerrte Gesichtchen, setzte sich in den Schaukelstuhl, legte sie in seiner Armbeuge zurecht. Heidi ließ das Baby nicht aus den Augen, verfolgte jede seiner Bewegungen mit demselben verstörten Gesichtsausdruck wie zuvor. »Und dir auch, Schatz. Geh duschen, lass dir Zeit. Die Sache läuft, alles ist geregelt. Ab jetzt übernehmen wir.«
    Heidi warf mir einen fragenden Blick zu. Ich nickte. Es dauerte noch ein, zwei Sekunden, doch dann marschierte sie los. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und betrachtete meinen Vater, der Thisbe hin und her wiegte und sich von ihrem Gestrampel und Geschrei überhaupt nicht stören ließ. Während Thisbe so wirkte, als wäre sie nicht ganz sicher, wer er eigentlich war. Ehrlich gesagt erging es mir in dem Moment ähnlich: Ich wusste es auch nicht mehr so richtig.
    Nachdem Heidi weg war, rechnete ich halb damit, dass mein Vater mir Thisbe umgehend aufhalsen würde. Tat er aber nicht. Er saß einfach da, schaukelte hin und her und tätschelte dabei mit einer Hand ihren Rücken. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er mich überhaupt noch wahrnahm,und fragte mich, ob er das mit Hollis und mir auch so gemacht hatte. Falls man meiner Mutter Glauben schenken konnte, dann eher nicht. Noch vor zehn Minuten hätte ich es selbst nie gedacht. Doch vielleicht konnten Menschen sich doch verändern oder es zumindest versuchen. Anzeichen davon entdeckte ich allmählich überall, wobei ich andererseits klug genug war, skeptisch zu bleiben. Zumindest vorläufig.
    ***
    Die Nacht, in der ich erst morgens um sechs heimgekommen war, lag ungefähr eine Woche zurück. Seitdem lernte ich das Nachtleben von Colby immer besser kennen. All die einsamen Nächte, in denen ich zum
Wheelhouse
und anschließend durch die dunklen, leeren Straßen gefahren war: Sie waren so langweilig gewesen wie Wassertreten. Erst jetzt, wo ich mit Eli herumzog, entdeckte ich, wie die Nacht wirklich sein konnte.
    Zum Beispiel im Waschsalon, bei Kaffee und Kuchen mit Clyde, während er ausführlich von seinem neuesten kulinarischen Abenteuer erzählte. Oder auf der Jagd nach Zahnseide, Windspielen oder was sonst auf Elis unsichtbarer Einkaufsliste stand. Zur Promenade gehen, wenn die Bars schlossen, wo ein Kerl namens Mohammed die beste Pizza – ein Dollar fünfzig das Stück – verkaufte, die ich

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