Dessen, S
haben muss? Vielleicht ist es einfach nur etwas, das du eben tun musst.«
Er ging ans andere Ende der Kasse, um seine Einkäufe in Tüten zu packen. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
Vielleicht ist es einfach nur etwas, das du eben tun musst.
Ohne sich rechtfertigen oder es rational begründen zu müssen. Die Idee gefiel mir.
Nach dem Besuch im nächtlichen Einkaufszentrum fuhren wir zu einem nahe gelegenen Baumarkt – ebenso megahypersupergroß –, der, laut Eli, für Bauunternehmen und Handwerksbetriebe extra früh öffnete. Waren wir zwar nicht, schien denen allerdings egal zu sein, wir durften nämlich ohne große Komplikationen hinein. Ich heftete mich brav an Elis Fersen, der ein neues Schraubenschlüsselset, eine Schachtel Nägel sowie eine Großpackung Glühbirnen im Sonderangebot zusammensuchte.Während er bezahlte, hockte ich mich auf eine Bank am Eingang und sah der Sonne beim Aufgehen zu. Als wir losfuhren, war es beinahe sechs. Allmählich wachte die übrige Welt wieder auf und gesellte sich zu uns.
»Das habe ich gesehen«, meinte er, weil ich beim Einsteigen ein Gähnen unterdrückt hatte.
»Ja, um diese Zeit breche ich normalerweise zusammen.«
»Nur noch eine Zwischenstation«, lautete die lapidare Antwort.
Die Tanke, was sonst? Durch das Fenster sah ich, dass noch dieselbe ältere Frau an der Kasse saß. Nur lag mittlerweile eine ausgebreitete Zeitung vor ihr, sie hatte das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und telefonierte.
»Möchtest du irgendetwas?«, fragte Eli. Ich verneinte und rutschte auf dem Beifahrersitz schläfrig ein wenig weiter nach unten. Eli stieg aus. Als er die Eingangstür des Shops erreichte, fuhr ein kleiner blauer Honda in eine Parklücke ein paar Autos weiter. Ich gähnte gerade wieder ausgiebig, da bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie jemand ausstieg und die Fahrertür zuschlug. Der zweite Mensch im Auto blieb auf dem Beifahrersitz sitzen. Der Typ, der ausgestiegen war, war groß, trug zerknitterte Khakihosen, ein Karohemd – und eine Brille mit schwarzem Gestell.
Ich beugte mich etwas vor, um sein Profil besser sehen zu können. Dann wandte ich langsam den Kopf und blickte zu dem Honda hinüber. Ja, klar – das da auf dem Beifahrersitz war meine Mutter. Sie hatte die Haarehochgesteckt, sich ihren schwarzen Lieblingspullover um die Schultern geschlungen und wirkte ziemlich müde. Ihr Doktorand stand jetzt an der Theke und schenkte sich Kaffee ein. Ich beobachtete, wie er ein Päckchen Kaugummi und ein Stück Apfelkuchen nahm, bevor er zur Kasse schlenderte, wo Eli beim Bezahlen mit der Frau plauderte. Wer hätte das gedacht?, ging mir durch den Sinn. Meine Mutter hatte was mit einem Tankstellenshop-Stammkunden.
Als Eli wieder herauskam, eine Flasche Wasser und eine Tüte Nachos in der Hand, beobachtete ich, wie sie ihm nachblickte: ihn leicht abfällig taxierte, seine zu langen Haare, das zerfledderte Shirt, die Art und Weise, in der er lässig den Autoschlüssel in seiner Hand schlenkerte. Ich wusste, sie hatte ihn bereits in eine Schublade gesteckt: Gerade mal Highschool-Abschluss, keine Pläne fürs Studium, nicht einmal Interesse daran, alles andere als intellektuell. Wenn ich ganz ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich vor noch gar nicht so langer Zeit ein ähnliches Urteil gefällt hätte. Aber mittlerweile hatte ich mich eine Nacht und viele, viele Stunden von meiner Mutter entfernt.
Vielleicht schaute sie immer noch herüber, als Eli einstieg und die Tür hinter sich schloss. Keine Ahnung, denn ich hatte mich umgedreht, sodass sie im Fall der Fälle nur meinen Rücken sehen konnte. Für sie war ich bloß ein Mädchen von vielen, das statt zu antworten nickte, als Eli nun fragte, ob ich schließlich und endlich nach Hause wolle.
Neun
»Fertig!«
Ich öffnete die Augen, blinzelte, schloss sie wieder. Vielleicht träumte ich ja. Doch einen Moment später hörte ich es erneut.
»Fertig! Ich hab’s geschafft!« Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Schritte ertönten, die näher kamen. »Hallo-o! Wo seid ihr denn alle?«
Ich setzte mich auf, warf einen Blick auf die Uhr. Viertel nach vier, nachmittags. Ich war am vergangenen Morgen bis sechs Uhr wach gewesen. Beziehungsweise an diesem Morgen, heute. Irgendwie verschwamm dieser Tage alles ineinander.
Ich stand auf, öffnete die Schlafzimmertür, sah, wie mein Vater gerade auf Thisbes Zimmer zusteuerte und die Hand ausstreckte, um die Tür zu öffnen. »Hey«, sagte er zu mir.
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