Dessen, S
die Kundin sagte: »Was diesen Schnitt angeht … ich weiß nicht … jetzt kommen mir meine Knöchel plötzlich elefantös vor.«
»Weil Sie an Hosen mit Schlag gewöhnt sind«, erwiderte Maggie in beruhigendem Ton. »Aber schauen Sie doch mal, wie toll Ihre Oberschenkel darin wirken.«
Esther lehnte den Kopf in den Nacken, blickte zur Decke. »Und jetzt?«, fragte ich. »Gehst du zu Fuß?«
»Ausgeschlossen«, entgegnete sie. »Das Semester fängt bald an, ich brauche unbedingt ein Auto. Ich habe zwar ein bisschen gespart, aber das reicht nie und nimmer.«
»Du kannst dir doch etwas leihen.«
»Und noch mehr Schulden machen?« Sie seufzte. »Ich muss sowieso schon bis an mein Lebensende Studiengebühren zurückzahlen.«
»Ich weiß nicht«, wiederholte die Kundin draußen gerade – zum wievielten Mal? »Ich finde, keine von beiden steht mir richtig gut.«
»Weil es ein langwieriger Prozess ist, die perfekte Jeanszu finden«, antwortete Maggie. »Lassen Sie die Jeans zu Ihnen sprechen, bis Sie wissen, welche die richtige ist.«
Ich verdrehte dezent die Augen, schnappte mir meinen Stift, beugte mich wieder über die Bilanzen. Kurze Zeit später hörte ich, wie die Kundin erneut in den Umkleideraum ging. Und Maggie kam zu uns ins Büro zurück.
»Okay, lass uns überlegen, was du jetzt für Möglichkeiten hast«, sagte sie zu Esther, die nach wie vor an die Decke starrte. »Was, wenn du dir Geld leihst?«
»Ich muss schon bis an mein Lebensende Studiengebühren zurückzahlen«, wiederholte Esther mit ausdrucksloser Stimme. »Wahrscheinlich bleibt mir nichts anderes übrig, als die Sparbücher aufzulösen, die meine Großeltern mir geschenkt haben.«
»Oh nein, das solltest du nicht tun, Esther.«
Eigentlich ging es mich ja nichts an, aber vielleicht konnte ich Maggie Esthers Standpunkt klarmachen. »Sie möchte einfach nicht noch mehr Schulden machen«, erklärte ich. Leider fiel mir gerade keine passende Parallele zwischen den Themen Geld und Jeans ein, der besseren Veranschaulichung wegen. »Und wenn sie einen Kredit aufnimmt, macht sie natürlich mehr Schulden.«
Draußen wurde die Umkleidekabinentür mit Schwung aufgestoßen. »Und diese hier … ich weiß immer noch nicht«, lautete der Kommentar der Kundin. »Sollen meine Beine wirklich aussehen wie Würste?«
»Natürlich nicht«, rief Maggie ihr über den Flur hinweg zu und schüttelte vehement den Kopf. »Ziehen Sie mal die andere Bootcut an, die mit den Taschenapplikationen, okay?«
Die Tür fiel wieder zu. Esther seufzte schwer. Ich wandte mich an Maggie: »Mehr geliehenes Geld ist mehr geschuldetes Geld. Ganz simpler Grundsatz.«
»Schon klar.« Maggie nickte. »Andererseits ist ein Auto ein Gebrauchsgegenstand, keine Investition am Finanzmarkt. Das Geld, das Esther für ein Auto ausgibt, ist in dem Sinne kein gut angelegtes Geld, weil das Auto automatisch an Wert verliert. Deshalb ist es vermutlich besser, man nimmt einen günstigen Kredit auf. Anstatt dass Esther ihre Sparbücher zu Geld macht, obwohl das natürlich eine naheliegende und irgendwie auch verlockende Lösung wäre.«
»Glaubst du wirklich?«
»Klar. Ich meine«, fuhr Maggie fort, »wo stehen die Zinsen momentan? Bei 5,99 Prozent oder so? Deshalb leihst du dir das Geld lieber relativ günstig von der Bank und lässt deine Sparbücher, wo sie sind und wo du sie weiter arbeiten lassen kannst, bis sie ordentlich Gewinn abwerfen. Letztlich springt auf die Art am Ende mehr dabei heraus, trotz Kredit.«
Ich starrte Maggie verblüfft an. Wer um alles in der Welt
war
das?
»Und was halten Sie von dieser?«, rief die Kundin.
Maggie warf einen Blick den Flur entlang. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein begeistertes Lächeln aus. »Wow!« Sie klatschte in die Hände. »Was meinen Sie denn?«
»Dass sie mit mir spricht«, erwiderte die Kundin froh. »Laut und deutlich.«
Maggie lachte und lief Richtung Umkleidekabinen. Ich sah ihr perplex hinterher.
Als sie am selben Abend später hereinkam, um mir zu sagen, sie würde demnächst schließen, fragte ich: »Woher kennst du dich mit Finanzsachen so gut aus?«
Sie stellte die Kassenschublade vor mir auf den Schreibtisch. »Ach, das liegt daran, dass ich mir meine Fahrräder immer selbst finanzieren musste. Du weißt ja, ich war eine Zeit lang ganz versessen darauf, wovon meine Mutter allerdings weniger begeistert war. Deshalb musste ich mir das Geld für die Bikes und die Ausrüstung und so selbst
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