Dessen, S
Doch das tat er. Als hätte es dieses Chaos gebraucht, damit ich endlich aussprechen konnte, was ich die ganze Zeit schon hatte sagen wollen. Als würde es sich nur in so einem verrückten Augenblick richtig anfühlen.
»Das mit Abe tut mir sehr leid.«
Eli nickte langsam. Wich meinem Blick keine Sekunde lang aus, während er antwortete: »Danke.«
Von draußen hörte ich lautes Gekreische. Anscheinend wurde immer noch heftig gekämpft. Aber hier drinnen, in der grell erleuchteten Küche, gab es nur uns beide. Ganz ähnlich wie in den Nächten zuvor, und dennoch fühlte es sich anders an. Nicht so, als hätten wir uns bereits verändert, aber als könnten wir es. Und würden es vielleicht sogar.
Und plötzlich schien es so leicht vorstellbar, die Hand zu heben und ihm das Haar aus dem Gesicht zu streichen. Es war im Grunde schon Realität: wie seine Hautunter meinen Fingerspitzen, sein Haar an meinen Handflächen sich anfühlen, wie er die Hände heben und um meine Taille legen würde. Als geschähe es bereits – doch da hörte ich, wie hinter mir die Küchentür zuknallte.
»Hey!«, rief Adam. Ich drehte mich um. Er hielt die Kamera in der Hand. »Cheeeeeeese!«
Es machte
klick
.
Vermutlich würde ich dieses Foto nie zu Gesicht bekommen. Und selbst wenn – niemals konnte es ausdrücken, was ich in dem Moment empfand. Bei Weitem nicht. Aber falls ich doch einen Abzug ergatterte, wusste ich schon, wo ich das Bild aufbewahren würde: in einem blauen Rahmen mit zwei eingravierten Worten. Eine Superzeit.
Zehn
»Bootcut oder Boyfriend-Jeans?«
Pause. Dann: »Was sieht Ihrer Meinung nach besser aus?«
»Das ist nicht die Frage. Sondern wie Ihr Hintern rüberkommen soll.«
Seufzend legte ich das Scheckheft in den Safe, schob die Tür mit dem Fuß zu. Ein neuer Tag bedeutete eine neue Gelegenheit, Maggies heiliger Jeanspredigt zu lauschen. Ich mochte Maggie, ehrlich (so verwunderlich das auch war), aber mit dem ganzen Mädchenkram hatte ich einfach Probleme.
»Sehen Sie«, hörte ich Maggie sagen. »Der Bootcut schmeichelt, weil sich diese weiche, fließende Linie ergibt. Der umgekrempelte Saum betont die Knöchel und man achtet mehr darauf als auf andere Körperteile.«
»Genau die sind nämlich mein Problem, die anderen Körperteile«, grummelte die Frau.
»Dito.« Maggie seufzte. »Aber auch eine Boyfriend-Jeans hat ihre Vorzüge. Am besten, Sie probieren eine an, damit wir vergleichen können.«
Was die Frau darauf erwiderte, konnte ich nicht verstehen,weil in diesem Moment die Türglocke bimmelte. Kurze Zeit später trat Esther zu mir ins Büro. Sie trug Hosen im Military-Look, ein schwarzes Tanktop und machte ein sehr ernstes Gesicht, während sie sich wortlos auf den Stuhl hinter mir fallen ließ.
»Hallo«, sagte ich. »Bist du …«
Gleichzeitig tauchte Maggie im Türrahmen auf. Sie hielt ihr Handy in der Hand und machte ganz große Augen. Nachdem sie einen Moment nur aufs Display geschaut hatte, sah sie Esther an. »Ich habe deine SMS eben erst bekommen. Ist das wirklich wahr? Hildy ist … tot?«
Esther bestätigte stumm.
»Nicht zu fassen.« Maggie schüttelte den Kopf. »Aber sie war … ich meine, sie gehörte irgendwie zu uns. Nach all den Jahren …«
Ich wollte gerade etwas Tröstliches sagen, mein Beileid ausdrücken. Doch in dem Moment machte auch Esther endlich den Mund auf. »Ich weiß«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Hildy war ein Superauto.«
Die Tür zur Umkleidekabine öffnete sich, schloss sich jedoch gleich wieder. »Auto?«, fragte ich ungläubig.
Beide sahen mich an. »Der beste Jetta, den es je gab«, antwortete Maggie. »Als wir noch zur Schule gegangen sind, war Hildy unser einziges Transportmittel. Sie gehörte zur Truppe wie eine von uns.«
»Ja, man konnte sich hundertprozentig auf sie verlassen, sie war unverwüstlich«, fiel Esther ein. »Sie hatte schon über hunderttausend Kilometer auf dem Buckel,als ich sie für dreitausend Dollar gekauft habe, aber sie hat uns kein einziges Mal im Stich gelassen.«
»Tja, ganz so würde ich es nicht ausdrücken«, meinte Maggie. »Erinnerst du dich an das eine Mal auf der Autobahn, als wir zum Waffelhaus wollten?«
Esther warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Willst du wirklich darauf rumreiten? In diesem Moment? Ausgerechnet?«
»Tut mir leid«, antwortete Maggie. Im Laden wurde wieder die Tür der Umkleidekabine aufgestoßen. »Oh. Mist. Bin gleich zurück.«
Einen Augenblick später hörte ich, wie
Weitere Kostenlose Bücher