Detektivin Anfang 30 sucht Auftraege
Seitengasse der Hauptdurchgangsstraße von Colgate. Von hier aus wirkte Colgate wie eine Ansammlung von Eisenwarenhandlungen, Autovermietungen und Baumschulen; allesamt Unternehmen, die gut die Hälfte ihrer Waren im Freien hinter soliden Maschendrahtzäunen feilzubieten schienen. Das Waffengeschäft befand sich im vorderen Wohnraum eines schmalen Holzhauses. In einigen Vitrinen lag Waffenzubehör, von Schußwaffen war nichts zu sehen.
Aus dem Hinterzimmer trat ein Mann Anfang Fünfzig mit hagerem Gesicht, graumeliertem Haar und grauen Augen hinter randlosen Brillengläsern. Über Hose und dem Oberhemd mit aufgekrempelten Ärmeln trug er eine lange, graue Schürze. Auffallend war sein ebenmäßiges, blendendweißes Gebiß . Als er den Mund aufmachte, wurde der rosafarbene Rand seiner oberen Prothese sichtbar, was die Wirkung erheblich minderte. Trotzdem mußte man ihn als gutaussehend bezeichnen. Bei einer Zehn-Punkte-Skala jedenfalls würde ich ihm sieben zugestehen; für einen Mann seines Alters ein passables Ergebnis. »Ja, bitte ?« wandte er sich an mich. Ich glaubte, einen Dialekt herauszuhören, und tippte prompt auf Virginia.
»Sind Sie Avery Lamb ?«
»Ja, bin ich. Was kann ich für Sie tun ?«
»Weiß ich noch nicht genau. Aber vielleicht sagen Sie mir erst mal mehr über ein Gutachten, das von Ihnen stammt .« Ich reichte ihm das Blatt Papier.
Er warf einen kurzen Blick darauf. Dann sah er mich an.
»Woher haben Sie das ?«
»Von Rudd Osterlings Witwe«, erwiderte ich.
»Mir hat sie gesagt, daß sie die Flinte nicht hat .«
»Das stimmt auch .«
Er schien verwirrt zu sein, blieb jedoch vorsichtig. »Was haben Sie mit der Sache zu tun ?«
Ich gab ihm meine Visitenkarte. »Lisa Osterling hat mich beauftragt, Rudds Tod näher zu untersuchen. Die Schrotflinte könnte wichtig sein. Immerhin ist er mit einer Schrotflinte erschossen worden .«
Avery Lamb schüttelte den Kopf. »Komische Geschichte. Das ist jetzt das zweite Mal, daß die Waffe verschwunden ist .«
»Was soll das heißen ?«
»Im Juni hat eine Frau die Schrotflinte hergebracht und schätzen lassen. Ich habe ihr ein Kaufangebot gemacht. Aber bevor wir uns handelseinig werden konnten, hat sie behauptet, die Waffe wäre gestohlen worden .«
»Hört sich so an, als hätten Sie ihr nicht geglaubt .«
»Natürlich nicht. Ich vermute, sie hat den Diebstahl der Polizei gemeldet. Aber ich denke, sie wußte genau, wer die Waffe geklaut hatte. Und dann ist dieser Osterling mit derselben Schrotflinte bei mir aufgetaucht. Sie hatte eine englische Schäftung mit biberschwanzförmigem Vorderschaft . Kaum zu verwechseln .«
»Ist das nicht ein merkwürdiger Zufall? Ich meine, daß er die Waffe ausgerechnet zu Ihnen gebracht hat ?«
»Eigentlich nicht. Ich bin einer der wenigen Büchsenmachermeister in der Gegend. Er brauchte sich praktisch nur umzuhören... genau wie die Frau vor ihm .«
»Haben Sie ihr erzählt, daß die Waffe wieder aufgetaucht ist ?«
Er zog die Augenbrauchen hoch. »Bevor ich dazu kam, war er tot, und die Parker war wieder verschwunden .«
Ich überprüfte das Datum auf dem Gutachten. »War das im August ?«
»Ganz richtig. Seither habe ich die Waffe nicht mehr zu Gesicht bekommen .«
»Hat er Ihnen verraten, woher er die Waffe hatte ?«
»Angeblich hat es sich um ein Tauschgeschäft gehandelt. Ich habe ihm zwar gesagt, daß bereits eine Frau mit dieser Flinte bei mir gewesen sei, aber das schien ihn nicht zu kümmern .«
»Und wieviel ist diese Parker wert ?«
Avery Lamb zögerte. Er schien sich die Antwort reiflich zu überlegen. »Ich habe ihm sechstausend geboten .«
»Gut. Aber mich interessiert, wie hoch der Marktwert der Waffe ist .«
»Das hängt davon ab, wieviel ein potentieller Käufer zu zahlen bereit ist .«
Ich versuchte, meine Ungeduld zu unterdrücken. Der Waffenhändler konnte mich nicht täuschen. Er redete um den heißen Brei herum, um sich nicht festlegen zu müssen für den Fall, daß die Waffe wieder auftauchte. »Hören Sie«, begann ich. »Es bleibt unter uns. Von mir erfährt niemand was. Es sei denn, die Polizei interessiert sich für die Sache. Und dann haben wir beide keine andere Wahl. Sowieso ist die Waffe im Moment verschwunden. Was soll’s ?«
Lamb blieb skeptisch, war jedoch Realist. Er räusperte sich sichtlich verlegen. »Sechsundneunzig.«
Ich starrte ihn ungläubig an. »Tausend? Sechsundneunzigtausend?«
Er nickte.
»Donnerwetter! Verdammt viel für eine Flinte, was
Weitere Kostenlose Bücher