Detektivin Anfang 30 sucht Auftraege
Schließlich hielt sie an und trug den Plastikkranz zu einer viereckigen Vertiefung mit einem provisorischen Holzkreuz; der Grabstein war anscheinend noch nicht aufgestellt worden. Sie lehnte den Kranz gegen das Kreuz und verharrte davor mit gesenktem Kopf. In dieser Pose gab sie eine gute Zielscheibe ab, und ich wünschte mir unwillkürlich, sie möge niederknien in ihrer Trauer. Vermutlich lauerte Sis irgendwo mit einem Messer zwischen den Zähnen, jederzeit bereit, aus ihrem Versteck hervorzuspringen und Justine die Klinge in den Rücken zu stoßen.
Nach der Gedenkminute setzte Justine sich wieder hinters Steuer und fuhr zum Flughafen, wo sie für den Flug nach Los Angeles eincheckte. Bis zum Abflug hatte sie noch eine knappe Stunde Zeit. Und von Sis war noch immer nichts zu sehen. Falls es zu einer Abrechnung zwischen Tante und Nichte kommen sollte, mußte das bald passieren. Ich schlenderte zu einem Zeitschriften- und Andenkenladen und postierte mich zwischen Buchständer und Wand, um Justine zwischen den Santa-Teresa-T-Shirts , die im Schaufenster hingen, hindurch zu beobachten. Sie saß auf einer Bank und las seelenruhig in einem Taschenbuch.
Was wurde hier eigentlich gespielt?
Sis Dunaway war schließlich ganz wild darauf gewesen, Margerys Tod zu rächen. Und wo blieb sie jetzt? Hatte sie sich an die Polizei gewandt? Ich behielt gleichzeitig Justine und die Uhr im Auge. Was Sis auch vorhatte, allzu lange durfte sie nicht mehr warten. Minuten bevor Justines Flug aufgerufen wurde, verließ ich endlich den Zeitschriftenladen, durchquerte die Abflughalle und setzte mich neben Justine. »Tag«, sagte ich. »Hübsche Dauerwelle. Steht Ihnen gut .«
Sie starrte mich an. Dann erwies sie sich als der klassische Fall des Schnellspanners: »Was machen Sie denn hier ?« fragte sie.
»Ich passe auf Sie auf .«
»Wozu?«
»Ich bin der Meinung, daß Sie ein Kindermädchen brauchen. Ihre Tante Sis ist höchstwahrscheinlich auf dem Kriegspfad. Ich leiste Ihnen Gesellschaft, bis sie auftaucht .«
»Tante Sis ?« fragte sie ungläubig.
»Ich muß Sie ernsthaft warnen. Vom Herzinfarkt-Tod Ihrer Mutter ist die Dame keineswegs überzeugt .«
»Wovon reden Sie überhaupt? Tante Sis ist tot .«
Ich konnte mir ein verächtliches Grinsen nicht verkneifen.
»Was Sie nicht sagen? Und seit wann?«
»Seit fünf Jahren.«
»Blödsinn!«
»Das ist kein Blödsinn! Es war ein Gehirnschlag. Sie war auf der Stelle tot .«
»Faszinierende Geschichte«, entgegnete ich.
»Es ist die Wahrheit !« behauptete sie mit Nachdruck. Mittlerweile hatte sie sich von ihrem Schreck erholt und ging zum Angriff über. »Wo ist mein Geld? Ich sollte doch einen Scheck über sechshundert Dollar kriegen .«
»Mausetot, sagen Sie ?«
In diesem Augenblick kam die Ansage über den Lautsprecher. »Erster Aufruf für die Passagiere des Fluges der United Airlines nach Los Angeles. Bitte zu Flugsteig 5. Halten Sie Ihre Bordkarten bereit, und kommen Sie zur Sicherheitskontrolle .«
Justine raffte ihre Sachen zusammen. Schon die ganze Zeit über hatte ich mich gefragt, wie sie die große Summe Bargeld durch die Sicherheitskontrolle bringen wolle. Ein Blick auf ihre füllige Taille verriet mir jetzt, daß sie sicher einen Geldgürtel trug. Auf spitzen, klappernden Absätzen stolzierte sie zur Schlange der wartenden Passagiere hinüber.
Ich folgte ihr verwirrt, während ich noch einmal die Ereignisse des Tages Revue passieren ließ. Alles war innerhalb weniger Stunden passiert. Ich hatte weder einen Dachschaden noch litt ich an Gedächtnisschwund. Und Gespenster hatte ich auch nicht gesehen. Sis war leibhaftig in meinem Büro gewesen, hatte mir die ganze Geschichte von Marge und Justine erzählt: ailes über das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, über Justines Vergangenheit als Betrügerin, über die Art und Weise, wie die Frauen sich stets gegenseitig zu übervorteilen versucht hatten, über die Versicherung und Marges Tod. Wie hatte Dr. Yee übersehen können, daß es sich um ein Verbrechen handelte? Darauf gab es nur eine Antwort: Weil die Frau überhaupt nicht ermordet worden war!
Endlich ging mir ein Licht auf.
Justine reihte sich hinter einem jungen Mann mit Seesack und einer Frau mit einem quengelnden Kind auf dem Arm ein. Die Schlange geriet kurz ins Stocken, während der Kontrolleur Platz nahm. Dann ging es weiter. Justine rückte einen Schritt vor. Ich blieb an ihrer Seite.
»Ihre Mutter und Sie sollen so ’ne Art
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