Deus Ex Machina - Teil 2: Thriller
als er sich entschlossen hatte, hier nicht weiter seine Zeit zu vergeuden, blieb sein Blick an dem weißen Schild links von Lohoffs Bürotür haften. Er zwinkerte ungläubig. Sah auf seine Schuhe hinab. Hob den Blick erneut und las das Schild ein zweites Mal. Die schwarzen Buchstaben flimmerten vor seinen Augen.
J. Lohoff, Dr. Phil .
„Na, da brat mir doch einer …“ Rensing pustete durch. Der Gang war leer. Nach kurzem Zögern stemmte er mit einem Schulterstoß die Tür auf, schlüpfte ins Büro und drückte die Tür provisorisch ins Schloss zurück. Hinter Lohoffs Schreibtisch ließ er sich in den Chefsessel sinken.
Das hättest du nicht tun dürfen, du Idiot, schalt Rensing sich selbst. Lohoffs Anwalt wird dich in der Luft zerreißen. Nicht mehr zu ändern. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren.
Noch mal in Ruhe: Walter Beekmann holt Lohoff nach Münster. Wohl kaum, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben. Lohoff ist ein kluger Kopf, der auf Beekmanns Wellenlänge liegt. Wenn dem so ist, macht Beekmann ihn auch zum Mitglied in seinem Deus-Ex-Machina-Verein. Und das wohl kaum unter ferner liefen. Vielleicht ernennt Beekmann ihn zeitnah direkt zur Nummer zwei.
Doch mit der Zeit hat Lohoff Blut geleckt. Er genießt seinen Status, aber er will mehr. Auch wenn er in der Hackordnung der Bruderschaft weit oben steht, gibt es immer noch jemanden, dem er sich unterzuordnen hat: Beekmann bestimmt die Richtung. Beekmann trifft die Entscheidungen.
Zwei Alphatiere sind eines zu viel.
Lohoff geht geduldig und behutsam vor. Eine kleine Intrige hier, ein kleines Versprechen dort. „Beekmann hat den Laden nicht mehr im Griff. Schlag dich auf meine Seite, Bruder X, und ich garantiere dir, es wird dein Schaden nicht sein.“ Und nach und nach hat er einen eingeschworenen Kreis von Getreuen um sich geschart.
Er lässt sich Zeit. Zwei Jahre. Drei. Fünf. Vielleicht räumt der Dekan ja freiwillig das Feld. Doch Beekmann denkt nicht daran, seinen Platz als Großmeister der Bruderschaft aufzugeben. Vielleicht sind ihm Bedenken gekommen, ob Lohoff wirklich der richtige Mann für seine Nachfolge ist. Vielleicht hat er einen anderen Kandidaten im Auge.
Lohoff scharrt mit den Hufen. Er wird ungeduldig. Seine Anhänger ebenso. „Wie lange sollen wir denn noch warten? Du hast uns einen Umsturz prophezeit. Alles nur leere Worte?“
Und dann sieht er die Gelegenheit: Frank Laurenz tötet Dr. Pape. Von Gewissenswissen gepeinigt, vertraut er sich Lohoff an - seinem Freud und Mentor, wie er glaubt. Falsch gedacht. War Frank Laurenz nicht nur Lohoffs Musterschüler, sondern gleichzeitig auch sein größter Konkurrent im Kampf um die Thronfolge? Lohoff bedrängt Laurenz, nutzt seine Schwäche aus und nötigt ihn zum Selbstmord. Jetzt ist der Weg frei. Die Kugel rollt.
Rien ne vas plus .
Lohoff tötet Henning Geerts. Einen lästigen Mitwisser. Vielleicht lässt er ihn auch töten. Schließlich gibt es bald neue Posten in der Geheimgesellschaft zu verteilen, und wer jetzt seine Treue und Entschlossenheit beweist, hat beim künftigen Großmeister einer nunmehr zügellosen, radikalen Bruderschaft einen Stein im Brett.
Als Nächster ist Beekmann an der Reihe. Der klassische Vatermord.
Bleibt noch Stefan Marcks. Hat er zu viel gewollt? Hat er versucht, Lohoff unter Druck zu setzen?
Rensing beugte sich vor und zog eine Schublade nach der anderen auf, ohne etwas Interessantes finden zu können. Fluchend stand er auf und schritt das Zimmer ab. An einer der Wände hing ein gerahmtes Schwarzweißfoto. „Examensjahrgang 2002“ stand am unteren Bildrand geschrieben. Rensing kniff die Augen zusammen und musterte die strahlenden Gesichter. Jan Lohoff stand zentral inmitten seiner Kommilitonen. Bestimmt hatte er das beste Examen hingelegt. Rensing trat noch einen Schritt näher an das Bild heran. Ja! Kein Zweifel! Der Student rechts von Lohoff - lange blonde Haare, Nickelbrille, eine Hand lässig auf Lohoffs Schulter gelegt – war Henning Geerts.
In der Ecke, schräg unter dem Foto, stand ein Rollcontainer aus Aluminium. Oberste Schublade: Diverse Stempel und Stifte, Lineal, Locher, Taschenrechner, einige Schnellhefter. Mittlere Schublade: Papier in verschiedenen Größen, Briefumschläge, Heftzwecken, Büroklammern, weitere Schnellhefter. Untere Schublade: Verschlossen.
Rensing hastete zurück zu Lohoffs Schreibtisch und hob die Ablage hoch. Kein Schlüssel. Er versuchte es mit den zwei Blumentöpfen auf der Fensterbank. Auch nichts.
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