Deus Ex Machina - Teil 2: Thriller
Blutrausch gesteigert. Eine lange unterdrückte Wut rausgelassen. Und dann der Mord an Stefan Marcks. Wieder eine andere Methode. Fast gewinnt man den Eindruck, der Täter habe sich diesmal nicht die Finger schmutzig machen wollen.“
„Wie hätten die sich denn finden sollen?“
„Guter Einwand, Karl. Und wenn sie sich gar nicht erst finden mussten? Was, wenn sie sich bereits vor den Morden getroffen haben und ihr großes gemeinsames Ziel schon lange im Verborgenen schlummerte?“
„Ein Komplott?“
„Komplott. Verschwörung. Nenn es, wie du willst. Ich würde es Deus Ex Machina nennen.“
„Diese Bruderschaft?“ Hagner lachte auf. „Glaubst du ernsthaft, dass es in Münster so viele Studenten mit krimineller Energie gibt, dass man mit ihnen einen Verein gründen könnte?“
„Wie vielen Studenten würdest du denn eine kriminelle Energie zutrauen, Karl? Zehn Prozent?“
„Quatsch. Weniger.“
„Ein Prozent?“
„Mach null Komma eins draus, dann könnte es hinkommen.“
„In Münster leben bis zu fünfzigtausend Studenten, Karl. Null Komma eins Prozent von fünfzigtausend ist fünfzig.“
*
Ich hatte katastrophal geschlafen. Heute in einer Woche würde meine Verhandlung beginnen, und wenn Rensing bis dahin keine neuen Erkenntnisse zusammentragen konnte, drohte mir eine Verurteilung. Ferdinand Giebel hatte daran nicht den geringsten Zweifel gelassen.
„Ich frage Sie nur einmal, Herr Kramer. Haben Sie Walter Beekmann getötet?“, hatte der Anwalt gefragt.
„Nein. Das habe ich nicht“, war meine Antwort gewesen.
„Gut. Das heißt, schlecht . Einen Unschuldigen zu verurteilen ist eine ärgerliche Angelegenheit, doch genau dazu wird es kommen, Herr Kramer. Ich sehe da kaum eine Chance. Wenn die Polizei den wahren Mörder nicht dingfest machen kann, sieht es schlecht für Sie aus. Die Staatsanwaltschaft hat alles, was sie braucht“ Er zählte die Indizien an den Fingern ab. „Sie haben den Dekan vor Zeugen angegriffen. Sie haben kein Alibi. Sie sind am Tatort festgenommen worden. Ihre Fingerabrücke waren auf der Mordwaffe. So schnell, wie der Richter den Hammer fallen lässt, werden Sie gar nicht gucken können.“
Giebel und Professor Nachtweih dürften ein gutes Komikerduo abgeben.
Ich zog meine Jacke an, griff nach dem Weidenkorb und verließ die Wohnung. Eva hatte sich für elf Uhr zum Brunch angekündigt, und ich musste vorher noch einkaufen. Als ich zum Supermarkt schlenderte, fiel mir ein schwarzer Mercedes Sprinter auf, der am Straßenrand parkte. Ich hatte mich schon bis auf zehn Meter genähert, als der Transporter plötzlich losfuhr und um die Ecke verschwand.
Die Brüder schienen mich nicht aus den Augen zu lassen.
Zurück in der Wohnung setzte ich Kaffee auf, deckte den Küchentisch und blätterte in den Westfälischen Nachrichten. Erwartungsgemäß waren die Morde an Walter Beekmann und Stefan Marcks der Aufhänger des Tages. Im Lokalteil der Zeitung nahmen sie gleich zwei Seiten in Anspruch, wobei sich die journalistische Aufmerksamkeit größtenteils auf Beekmann konzentrierte: Eine effektheischende Schilderung der Tat, eine blumige Biographie des Dekans, zahlreiche Kommentare und Nachrufe. Ein Abgesang, der eines Staatsmannes würdig war.
Die Phase des Spekulierens hatte begonnen, und das Augenmerk fokussierte sich auf die Wilhelms-Universität. Kein Wunder. Ein Chirurg der Uniklinik, ein Dekan, ein Student – zwei Studenten, wenn man Frank mit einbezog. Alle Opfer waren mit dem Universitätsleben verbunden gewesen. Wie konnte man von den Studenten erwarten, Referate zu halten, Klausuren und Magisterarbeiten zu schreiben, während sich um sie herum die Leichen stapelten?
Ich sah auf die Küchenuhr. Schon fast halb zwölf. Normalerweise war Eva die Pünktlichkeit in Person. Ich stand auf, trat ans Küchenfenster und sah auf die Straße hinunter. Der Mercedes Sprinter hatte seinen angestammten Platz wieder eingenommen. Mein Magen zog sich zusammen. Adrenalin pumpte durch meinen Körper. Ein paar Minuten lief ich rastlos durch die Wohnung, dann griff ich zum Telefon und wählte Evas Nummer.
Nichts.
Ich versuchte es bei ihren Eltern in Nordwalde.
Nichts. Nur der Anrufbeantworter.
Ich rief im Präsidium an und verlangte nach Rensing.
Auch nichts. Hauptkommissar Rensing sei in einer dringenden Angelegenheit im Einsatz, gab man mir zu verstehen.
Ob der Einsatz etwas mit Eva Kamp zu tun habe, wollte ich wissen.
Derartige Informationen dürften nicht
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