Deus X
ihnen läßt sich dabei von
ihrem aufrichtigen Glauben leiten.
Aber Kardinal John Silver hatte Mary Gonzalez’ Wahl zur
Päpstin durch das Kardinalskollegium wie ein mit allen Wassern
gewaschener Chicagoer Parteiführer von anno dazumal gelenkt,
hatte Gefälligkeiten ausgetauscht, finanzielle Zuwendungen
versprochen und theologische Debatten wie ein Wahlkampfberater
geführt.
Die Beratungen sollen geheimgehalten werden, und es wird kein
Protokoll geführt, aber glauben Sie mir, Kardinäle sind
nicht immun gegen die Versuchungen pikanten Klatsches, und auch
anderen Priestern widerstrebt es nicht, ausgewählte Leckerbissen
von oben nach unten weiterzutragen.
Das Kollegium war wie die Kirche selbst in eine Sackgasse geraten,
und zwar bei demselben Thema – jenem nämlich, das sie fast
mein ganzes Leben hindurch nicht losgelassen hat.
Die selbsternannten Progressiven behaupten, der Abfall der
Gläubigen sei der eindeutige Beweis dafür, daß es der
Kirche nicht gelungen sei, mit der Zeit zu gehen; sie meinen,
daß es absolut selbstzerstörerisch sei, die Seelen jener
zu exkommunizieren, die ihr Bewußtsein in
Nachfolger-Entitäten herunterladen, und daß wir vielleicht
sogar den verlorenen Seelen der Ungläubigen auf der Anderen
Seite die Hand reichen sollten, die gewiß verzweifelt der
Erlösung harren.
Die Traditionalisten, zu denen ich gehöre, entgegnen,
daß die Zahlen auf den Mitgliederlisten kein Maßstab
für den spirituellen Zustand der Kirche sind – erst recht
nicht, wenn man sie mit den Konstrukten des Teufels auffüllen
würde.
Dies waren die Extrempositionen im Kardinalskollegium. Dazwischen
gab es eine breite Mitte, die einfach wünschte, das ganze
Problem würde verschwinden, und die alle Kandidaten der einen
oder anderen Seite blockierte.
Kardinal Silver spielte seine Karten erst aus, als sich im
Kollegium Erschöpfung und Frustration breitzumachen begannen.
Als es soweit war, schlug er Kardinälin Mary Gonzalez vor.
Kardinälin Mary Gonzalez mochte nicht zu den ersten
weiblichen Priestern gehört haben, aber ansonsten war sie die
erste Frau in allen anderen Ämtern gewesen – Monsignore,
Bischof, Kardinal –, warum sollte sie also nicht auch die erste
Päpstin werden?
Es ist nicht nötig, die Verblüffung und Bestürzung
zu beschreiben, mit denen diese Nominierung aufgenommen wurde, obwohl
ich all die farbigen Einzelheiten oft genug zu hören bekommen
habe.
Als der Staub sich gelegt hatte, brachte Kardinal Silver sein
wirkungsvollstes Argument vor. Während die Konklave gerade eben
noch von dem ungelösten Schisma paralysiert gewesen war, das die
Kirche zerriß, ihre Energien absaugte und ihr bei der
schwindenden Zahl ihrer Kommunikanten – und erst recht bei
jenen, die sie bekehren wollte – jede öffentliche
Glaubwürdigkeit raubte, so war sie nun wie elektrisiert von dem
bloßen Vorschlag, eine Päpstin zu wählen.
Wenn wir die Sache nicht lösen können, sollten wir sie
beiseite legen, bis die Öffentlichkeit sie vergißt –
zeigen wir der Welt, daß die Kirche zu einer dynamischen Vision
fähig ist, leugnen wir der Hälfte der potentiellen
Konvertiten der Welt gegenüber unsere Phallokratie, wählen
wir uns Kardinälin Mary Gonzalez und schaffen wir einen
päpstlichen Superstar, der sich mit Johannes Paul II. messen
kann.
Oder feinsinnigere Worte gleichen Inhalts.
Wenn ich dabeigewesen wäre, hätte ich mich
wahrscheinlich auch überzeugen lassen, sofern die Wahl nicht
ausgerechnet auf Kardinälin Mary Gonzalez gefallen wäre.
Mary Gonzalez war während der Wasserkriege in den schäbigen
Wüstenstraßen des sterbenden Los Angeles aufgewachsen, war
als Teenager eine Art Ökoterroristin gewesen und hatte sich dem
Zugriff des Gesetzes gerade noch durch die Flucht in ein
Nonnenkloster entzogen.
Das liegt nun lange Jahrzehnte zurück, und diese
Jugendtorheiten haben den romantischen Status der jämmerlichen
Versuche des Autors erreicht, unter anderem Namen seine Biographie zu
schreiben. Die reife Kardinälin Mary Gonzalez war ein
leuchtendes Beispiel für die erlösende Kraft der Kirche,
und das glaube ich in der Tat; zumindest nach ihrem Erscheinungsbild
in der Öffentlichkeit zu urteilen, entsprach Kardinälin
Gonzalez perfekt der weltlichen Vorstellung von einer Frau der
Kirche.
Sie war eine entschiedene Verfechterin der Gleichberechtigung der
Frau und damit selbst der deutliche Beweis, daß sich die Kirche
auf moderne Weise für dieses Ziel engagierte. Als Amerikanerin,
die
Weitere Kostenlose Bücher