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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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stets ihre Herkunft aus der dritten Welt hervorhob,
unterstützte sie die Verzweifelten gegen die Bequemen, die Armen
gegen die Reichen, die Unterdrückten gegen die Unterdrücker
und natürlich die Reste der Ökosphäre gegen die
weitere Verwüstung durch den Menschen.
    Bewundernswert. Ein Ausbund an Tugend. Unter anderen
Umständen vielleicht sogar eine nützliche und effektive
Päpstin.
    Aber gegenwärtig nicht die richtige Person auf dem Stuhl des
Petrus, weder für die Kirche noch für die Welt. Beim
größten spirituellen Problem, mit dem sich die Kirche
konfrontiert sah, der Frage nämlich, ob die Seele die
unsterbliche Schöpfung Gottes ist oder ein reines
Software-Artefakt, das vom Menschen vervielfältigt werden kann,
hatte sich diese am stärksten im Blickfeld der
Öffentlichkeit stehende Prälatin, diese
Talkshow-Persönlichkeit, einer Antwort stets durch Schweigen
entzogen.
    Obwohl ich nichts gegen Päpstinnen oder politische
Kardinäle habe, stand Kardinal Silver folglich ganz oben auf der
Liste der ungebetenen Gäste, die ich selbst unter den besten
Umständen nicht gern bei mir sehen würde, und schon gar
nicht, wenn sie sich in einem schändlichen päpstlichen
Hubschrauber buchstäblich aus heiterem Himmel in meine letzten
spirituellen Meditationen herabsenkten.
    »Was verschafft mir diese hohe Ehre, Eure Eminenz?«
fragte ich zur Begrüßung, als Kardinal Silver dort stand,
den Sonnenhelm auf seinem Kopf gegen den Wind der Rotorblätter
festhielt und sich reflexhaft duckte, während sie über ihm
kreisten.
    »Wollen wir das drinnen erörtern, Pater De Leone?«
sagte er. Ich konnte geradezu sehen, wie seine Augen hinter den
undurchdringlichen Gläsern zusammenzuckten, als er sich mit
unverhüllter Eile auf den Weg zum Chalet machte.
    »Eine Strahlendosis von ein paar Minuten ist statistisch
nicht signifikant, Eure Eminenz«, versicherte ich ihm,
während ich keuchend mit ihm Schritt zu halten versuchte.
    »Wozu ein unnötiges Risiko eingehen«, erwiderte er,
ohne sein Tempo zu verlangsamen, eine seltsame Einstellung für
einen Mann, der gerade mit einem Hubschrauber gekommen war, dachte
ich.
    Sobald wir jedoch drinnen in Sicherheit waren, fand Kardinal
Silver seine fürstliche Selbstbeherrschung wieder. »Sie
müssen sofort mit mir nach Rom zurückkehren«, sagte
er, kaum daß er ein sicheres Dach über dem Kopf und seinen
Hut und seine Sonnenbrille abgelegt hatte.
    »Eure Eminenz…«
    »Ja, ich weiß, Pater De Leone, ich kenne Ihre
Verfassung, und wenn es nach mir ginge, würde ich Sie niemals an
Ihrem letzten Zufluchtsort stören, aber auch ich stehe in dieser
Angelegenheit unter direktem päpstlichem Befehl.«
    »In welcher Angelegenheit?« stammelte ich, in gewisser
Weise immer noch bemüht, mit ihm Schritt zu halten.
    »Das weiß ich nicht. Sie hat es mir nicht gesagt«,
antwortete Kardinal Silver weit weniger
respekteinflößend.
    »Die Päpstin hat sie den ganzen Weg hierher geschickt,
damit Sie einen Sterbenden nach Rom zurückschleppen, und Sie
wissen nicht einmal, warum?« rief ich aus, ebenso verwirrt wie
zornig. »Es fällt mir wirklich schwer, ausgerechnet Ihnen
das abzunehmen, Kardinal Silver.«
    Der Kardinal ließ ein ironisches kleines Lachen hören,
das ihn beinahe sympathisch machte. »Wenn Sie zu denjenigen
gehören, die glauben, daß Mary Gonzales mein Geschöpf war, dann steht Ihnen eine interessante Erfahrung
bevor, Pater De Leone«, sagte er trocken. »Diese
Päpstin hat ihren eigenen Kopf, und was für
einen.«

 
3
     
     
    Er kam über den Horizont im Osten herauf, über das
gespiegelte Purpurrot und Violett eines Treibhaussonnenuntergangs
mitten auf dem Meer hinweg, als wäre er einem klassischen
Fernsehwerbespot des zwanzigsten Jahrhunderts entsprungen, der
Inbegriff hirnloser Freiheit und Macht, ein Gebilde, das einen unter
dem Trommelwirbel des Rotorengeratters ins pelagische Paradies
entführt.
    Nur daß ich da schon längst war, Mann, und er kam auf
mich zu, lärmend, stinkend und Benzindämpfe speiend,
während ich in der Plicht hockte und meinen Spliff anschaute,
als könnte der ihn verschwinden lassen.
    Das Scheißding hing einfach da oben, paar Meter von meinem
Heck entfernt, und dann kam es runter wie ‘n klappriger
Fahrstuhl, bis es nur noch rund drei Meter hinter dem Deck war,
dröhnte mir die Ohren mit Heavy Ecodeath Metal voll, wirbelte
das Wasser auf, pumpte Gase aus sich heraus, die so dick waren,
daß man sie schmecken konnte. Dann fällt dieser Kerl in

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