Deus X
blieb.
»Erkläre dich«, sagte die Stimme des Vortex.
»Sieh mal, mein Job ist es, dafür zu sorgen, daß
De Leones Software wieder in den Computer des Vatikans kommt, und da
wollt ihr ihn doch auch haben, solange er mit dem Ego-Lied auf den
Lippen dort einläuft, oder? Und ich glaube felsenfest, daß
ich eine Seele bin. Also laß mich mit ihm reden wie eine
Bruderseele mit der anderen, vielleicht gelingt es mir, ihn zu
überzeugen.«
»Und wenn es dir nicht gelingt?«
Ich zuckte die Achseln. »Dann heißt’s eben
›zurück auf Start‹, und ihr habt nichts
verloren.«
»… kann dem Fleisch nicht trauen…«
»… holt ihn herein…«
»… experimentelle Kontaminierung…«
»… Failsafe-Prozedur…«
Es war – vorsichtig ausgedrückt – enervierend,
dabei zuzuhören, wie der Vortex mit sich selbst diskutierte oder
wie die Entitäten dahinter um Kontrolle über ihn rangen,
was auch immer, um so mehr, als die Optik allmählich weiter
verblaßte und sogar die Pixelumrisse der Wüstensimulation
einen ziellosen Schlangentanz aufzuführen begannen.
»Hör mal, Mann, ihr habt doch alle Trümpfe in der
Hand! Entweder überrede ich De Leone, für eure Seelen zu
sprechen, oder ihr gebt die Entität nicht zurück, ich
meine, ich hab ja nicht die Macht, ihn euch wegzunehmen,
oder?«
Ich hob die Hände, wackelte vorsichtig mit den Fingern der
Kontrollhandschuhe. »Andererseits, wenn du unbedingt das
Arschloch raushängen lassen willst – vielleicht hab ich ja
die Macht, das ganze System abstürzen zu lassen…«
Ein langer Augenblick des Schweigens, während Logikroutinen
das verarbeiteten.
»Komm schon, Vortex, keine faulen Simulationsroutinen, nur er
und ich, ohne jedes Brimborium – wenn er glauben soll, daß
er echt ist, dann sollten wir jetzt echte Nägel mit Köpfen
machen.«
»Nicht möglich«, sagte die Stimme des Vortex. Na,
wenigstens war sie wieder da.
»Was soll das heißen, nicht möglich?«
»Deine Software läuft in einer Meatware-Matrix. Die
De-Leone-Software ist eine Entität auf Systemebene. Dein
Programm kommuniziert per optischem und akustischem Datenaustausch.
Für die Zwecke des Experiments empfängt das
De-Leone-Programm nur direkte Daten auf Systemebene. Inkompatible
Firmware. Inkompatible Kommunikationsmedien. Deshalb ist für die
Kommunikation eine vermittelnde Interface-Routine
erforderlich.«
»Heißt das, wir sind im Geschäft?«
»Richtig.«
Ich seufzte. »Na, dann los!« sagte ich. »Tu, was du
tun mußt. Tu dein Bestes.«
Was würde passieren, wenn ich versagte? Würden die
System-Entitäten am Ende glauben, daß sie nicht
existierten? Was dann? Würden sie sich in diskontinuierliche
Subroutinen auflösen? Würden einige von ihnen sich in Viren
verwandeln? Wenn ja, was würde dann aus dem Big Board selbst
werden? Konnte es einen umfassenden Systemabsturz geben?
Und wenn ich Erfolg hatte? Wenn die System-Entitäten zu dem
Schluß gelangten, daß sie ichbewußte Wesen waren,
die einen freien Willen besaßen? Würden die Irren die
Anstalt übernehmen?
Hatten wir das nicht schon getan?
»Interface etabliert«, sagte die Stimme des Vortex.
»Das ist der Wirbelwind. Und du bist darin.«
Und es war zu spät, um es sich anders zu überlegen. Ich
war drin.
Keine Wüste mehr. Kein Himmel mehr. Keine pixelige
Feuersäule mehr.
Mir wurde schwindlig, als das Chaos über mich
wegspülte.
Na ja, vielleicht doch kein Chaos. Da war irgendeine Ordnung.
Stell dir vor, du wärst im facettierten Auge eines Insekts.
Stell es dir als Kugel vor. Stell dir jede Facette als Bildschirm vor
– Hunderte, Tausende von Bildschirmen, jeder mit seinem eigenen
zweidimensionalen Blick auf die äußere Realität.
Stell dir vor, wie sich all diese Blicke verändern, wenn ein
unsichtbarer Regisseur in einem nicht existierenden Kontrollraum von
einer Kamera zur nächsten schaltet.
Stell dir die Welt aus der Sicht des Big Boards selbst vor, aus
dem Innern des Systems heraus.
Nicht aus einem einzelnen, kohärenten Blickwinkel, sondern
aus den fragmentierten, simultanen Blickwinkeln sämtlicher
Entitäten, die optische Perzeptions-Subroutinen mit der
sphärischen Oberfläche koppeln. Wettersatelliten-Scans.
Daten, die in Buchstaben und Ziffern über die Bildschirme
laufen. Videophon-Gespräche. Teleskopaufnahmen vom Weltraum.
Börsenkurse. Neue Sendungen. Idiotische Adventure-Kanäle
und Pornos für sämtliche Perversionen. Der
gesellschaftliche und geschäftliche Verkehr, die Unterhaltung
und der
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