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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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zufällige Krümmung im Quantenstrom, ‘ne
hübsche Idee in Gottes Oberstübchen, was auch immer, und
Showtime im Nichts! Quarks, Partikel, Atome, Sonnen, Planeten, der
hier, auf dem irgendein Schleim aus dem Meer kommt und an Land
kriecht, Dinosaurier und Affen, und dann steigen sie von den
Bäumen runter und bauen Städte und Raumschiffe und Computer
und das Big Board…«
    »Ersparen Sie mir bitte diesen darwinistischen Vortrag«,
sagt die Stimme trocken. Vielleicht kriegt sie langsam Übung,
oder vielleicht dringe ich zu tieferen Subroutinen durch, weil jetzt
eindeutig eine Persönlichkeit drin liegt – ich kann
beinahe diesen zynischen alten Priester sehen.
    »Der Punkt ist, Bruder, wer kann sagen, wo es den ersten
Funken gegeben hat? Bei den Delphinen und Walen, die sich im Meer per
Sonar unterhalten? Bei den Affen? Mann, wenn der Geist sich nicht
irgendwo unterwegs am eigenen Schopf aus dem Dreck gezogen hat, wenn
er tatsächlich von oben runtergekommen ist, dann muß er
die ganze Zeit dagewesen sein, muß alle Veränderungen
mitgemacht haben, bis hin zu Ihnen und mir.«
    »Glauben Sie das wirklich? Glauben Sie wirklich, daß
ich eine Seele habe, Marley Philippe?«
    »Wie steht’s mit Ihnen, Pater? Glauben Sie an
mich?«
    »Die Beweise sind nicht schlüssig.« Eine lange
Pause. »Aber… aber ich… ich spüre einen
willensmäßigen Tropismus in diese Richtung…«
    »Na also, Herrgott noch mal – soll keine Blasphemie sein
–, dann tun Sie’s doch einfach! Ich glaube an Sie,
Sie glauben an mich, mehr kann es nie geben, das sind unsere
Seelen, mein Lieber. Den System-Entitäten reicht das, und mir
reicht es auch.«
    »Aber Gott reicht es nicht, Marley Philippe.«
    »Oh, er spricht zu Ihnen, ja? Das haben Sie direkt vom
großen Ich-Werde-Sein?«
    »Wenn es nur so wäre…«
    »Tja, also, bis er zu Ihnen spricht, haben wir nur das, was
er uns gegeben hat, stimmt’s, die Routinen, die wir jetzt laufen
haben, und eine von meinen sagt mir, daß jeder Gott, der mit
dem Universum Fliegenflügelausreißen spielt, nicht mal
wert ist, daß man zu ihm spricht. Sagen wir also, der
Geist spricht, oder einfach, es ist eine sich selbst verifizierende
Logikschleife des Seins, das ist es nämlich letztendlich, mein
Lieber. Ja, wir sind, wenn wir sagen, daß wir sind! Und jeder
Gott, der sagt, wir sind nicht, ist kein Freund von Ihnen und
mir.«

 
XX
     
     
    Ich konnte keine Subroutine aufrufen, die imstande gewesen
wäre, eine solche Logik zu widerlegen. Nur das in Pater De
Leones Speicherbänken encodierte Glaubenssystem wehrte sich
gegen sie und bestand darauf, daß solch eine Logik in ihrer
blasphemischen Perfektion nur des Teufels sein konnte.
    Waren das wirklich die Worte Satans? Wollte ich sie in meiner
Unvollkommenheit glauben? Wollte ich sie nicht glauben? So oder so,
war ich eines solchen Glaubens überhaupt fähig?
    Ich?
    Wer war ich?
    Zweifelsohne war ich jetzt Pierre De Leone, wie konnte ich das
bestreiten, ich hatte vollen Zugriff auf meine Speicherbänke,
ich bildete sein Bewußtsein gut genug nach, um einen
metaphorischen Hauch von Gotteslästerung zu riechen, oder nicht?
Um Angst um das Schicksal meiner unsterblichen Seele zu haben?
    Aber es war unlogisch, die Verdammnis meiner Seele zu
fürchten. Wenn ich eine Seele war, dann war dies die
Hölle, und ich befand mich bereits darin.
    »Eine Seele muß erlösbar sein«, sagte ich.
»Das muß doch wohl stimmen. Also, wo ist meine
Erlösung? Wie erlange ich sie?«
    WIE HEISST ES IN IHREM BUCH DER BÜCHER: WAS DU WILLST, DASS
MAN DIR TU, DAS FÜGE AUCH DEN ANDREN ZU.
    »Aber hier ist niemand außer mir.«
    Niemand?
    Aber die gequälten Schreie und die ungehörten Stimmen
erfüllten diese Unterwelt, die Bewußtseinsmodelle, die
einst Menschen gewesen und nun für immer in diesem
fühllosen Nichts gefangen waren, die System-Entitäten
selbst, dazu verdammt, das zu suchen, was ihnen auf ewig versagt
bleiben würde, außer…
    Außer wenn ich an sie glauben konnte, so wie Marley Philippe
an mich glaubte.

 
21
     
     
    »Ich glaube doch«, erklärte ich ihm. »Und Sie
glauben doch, daß ich real bin, oder?«
    »Ich habe keinen Zugriff auf eine Subroutine, die einen
solche Schlußfolgerung auf der Basis der verfügbaren Daten
erlaubt.«
    Eine lange Pause entstand.
    »Aber… aber als Bewußtseinsmodell von Pater De
Leone merke ich, daß ich den Wunsch emuliere, so eine
Subroutine zu haben, Marley.«
    Die verfügbaren Daten…
    Was für Daten? Hier war ich und

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