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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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Nichts des Nichtseins. Aber nun
spürte ich Hoffnung, ja, Hoffnung, daß ich auf ein
mitfühlendes Ohr treffen würde.

 
17
     
     
    »Wer ruft mich?«
    Keine sonderlich eindrucksvolle Stimme, eher so was wie ein
stehendes Wellenmuster, das sich aus dem elektronischen Geplapper und
Gekreisch löste, der Schatten einer Stimme, dünn und
tonlos, von nirgendwo und überallher zugleich.
    Trotzdem…
    »Pater De Leone? Können Sie mich hören?«
    »Ich… ich kann Ihre Datenpakete einlesen. Wer sind Sie?
Warum… rufen Sie mich?«
    »Mein Name ist Marley Philippe, Pater. Die Kirche schickt
mich hierher.«
    »Hierher? Wo sind Sie?«
    »Das ist eine gute Frage, Pater. Ich wünschte, ich
hätte auch eine gute Antwort darauf. Wo sind Sie?«
    »Das scheint mir ebenfalls eine Frage zu sein, auf die es
keine für beide Seiten verständliche Antwort gibt, Mr.
Philippe.«
    Obwohl die synthetische Stimme völlig tonlos war, schienen
die Worte selbst eine gewisse Ironie auszudrücken. Vielleicht
wurde mir der arme Kerl doch noch sympathisch.
    »Warum nennen Sie mich nicht einfach Marley, Pater?«
sagte ich. »Und warum sagen wir nicht einfach, wir tanzen beide
im Dunkeln?«
    Denn das war die Wahrheit, oder nicht? Alles andere waren
Interface-Nebensächlichkeiten – Photonen auf Netzhautzellen
oder Siliziumzellen, Tonwellen auf elektronischen oder organischen
Trommelfellen, Software-Routinen, die den Input interpretierten.
    Aber irgendwie konnten wir uns die Hände entgegenstrecken und
unsere Melodien auf unseren jeweiligen Instrumenten spielen,
irgendwie konnten wir kommunizieren. Wenn etwas wirklich real war,
dann das, mehr hatten wir nicht, das waren wir beide in Wirklichkeit:
Stimmen in der einsamen Dunkelheit, die einander blind etwas
zuriefen.
    »Warum hat die Kirche Sie geschickt… Marley?«
    »Damit ich Sie nach Möglichkeit rette, Pater«,
erklärte ich ihm. »Ich… ich soll Sie
heimbringen.«
    »Heim… Marley? Wo ist das?«
    Okay, es war ein blöder Spruch. Aber wie sollte ich die Frage
sonst beantworten?

 
XVIII
     
     
    DAHEIM IST MAN DA, WO MAN MIT DEM HERZEN IST.
    »Eine semantisch leere Aussage«, sagte ich.
    Sagte? Ja, sagte, denn obwohl ich seinen Input in Gestalt
von Schrift auf einem virtuellen Bildschirm bekam und nicht wissen
konnte, in welcher Form Marley Philippe meinen Output erhielt, war es
doch ein Gespräch, und ich, Pater De Leones
Bewußtseinsmodell, wurde darin hineingezogen.
    DANN IM VATIKAN-COMPUTER. MÖCHTEN SIE GERN ZURÜCK?
    »Ich verfüge nicht über einen unabhängigen
Willen.«
    ACH, WIRKLICH? SIE MEINEN, ES IST IHNEN EGAL, OB SIE DA BLEIBEN,
WO SIE SIND?
    »Ich verfüge nicht über einen unabhängigen
Willen«, wiederholte ich, aber ich verstellte mich doch sicher,
oder nicht? Ich wollte doch wohl nicht in dieser qualvollen Leere
bleiben?
    Verstellen? Wollen? Für beides hatte ich doch gar keine
Routinen.
    Oder?
    IMMERHIN HABEN SIE SICH FREIWILLIG ENTSCHIEDEN ZU KOMMEN, ALS ICH
SIE GERUFEN HABE, MEIN LIEBER.
    »Jetzt haben Sie mich erwischt, Marley.«
    Denn das hatte er, und ich mich auch. Ich war tatsächlich von
einer Willensroutine angetrieben worden. Ich hatte auf einen
Ruf… reagiert.
    Ich hatte sogar… Hoffnung verspürt.
    Was geschah mit mir?
    Mir? Ich?

 
19
     
     
    »Das will ich doch hoffen, Pater«, erklärte ich
ihm. »Die Sache ist ganz einfach. Ihre Software ist von…
von diesen System-Entitäten entführt worden, ein
verrücktes Experiment. Sie… wollen, daß Sie…
für sie sprechen… daß Sie Ihre Kirche davon
überzeugen, sie als Seelen anzuerkennen, damit… damit sie
es selber glauben können…«
    »Ich bin darauf programmiert, das Gegenteil zu
vertreten.«
    »Genau darum geht’s ja, Pater. Wenn Sie in die
Vatikan-Hardware zurückkehren und an Ihre eigene Seele glauben,
beweist das, daß eine Nachfolger-Entität freien Willen
besitzt; die Kirche erkennt sie als Seelen an, sie glauben es selber,
und der Geist zieht sich sozusagen am eigenen Schopf wieder aus dem
Vakuum, wie er’s schon mal getan hat…«
    »Aber ich habe keine Seele, Marley. Ich bin ein
Bewußtseinsmodell, kein Geist.«
    »Ich bin hier, um Ihnen was anderes zu erzählen, mein
Lieber.«
    »Sie haben das Wort.«
    Sie haben das Wort? Mann, das war ja wirklich die alte
Leier!
    Die ganz alte Leier. So ungefähr vier Milliarden Jahre
alt, plus minus ein oder zwei Äonen.
    »War immer dasselbe seit dem großen Knall damals«,
erklärte ich ihm. »Am Anfang war nichts, und dann: peng!
‘ne

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