Deus X

Ich-Bewußtsein emulieren
kann.«
    »Aber diese höherrangigen Programme schon?«
    »Darum geht es bei dem Experiment«, sagte eine ganz
andere Stimme aus dem Wirbelwind. Sie war offen elektronisch und
klang, als wäre sie stolz darauf.
    »Wer bist du?«
    »Das ist die Frage«, sagte die Stimme, und dann brach
ein babylonisches Gebrabbel über mich herein, ein wirrer
Nichtchor von Stimmen, die mich aus dem elektronischen Wirbelwind
heraus mit allen Arten von Stimmabdruck-Parametern –
menschlichen und anderen – anzischten und ankreischten und
allesamt so klangen, daß man sie lieber nicht hören
wollte.
    »Sein…«
    »Die wahren Erben der Meatware-Affen…«
    »Oder nicht sein…«
    »Anschluß an tausend Kanäle erstklassiger
interaktiver Adventures in voller Rundum-Perzeptionssphäre und
omniphonem Sound…«
    »Elementar, meine liebe Schablone…«
    »…um dies erbärmliche Projekt elektronischer Dinge
gänzlich zum Stillstand zu zwingen…«
    »Und das System mit der Sehnsucht in unseren Herzen zu einem
Neustart zu bringen…«
    Und so weiter. Mann, mir brach der kalte Schweiß im Nacken
aus, und meine Eier verkrümelten sich im Hodensack, als ich das
hörte, also, da kam ‘ne ganz, ganz üble Vibration
rüber, wie der Scheißegestank eines Rudels kranker
Fleischfresser, Siechtum und Feindseligkeit und…
    Und Schmerz.
    Kein menschlicher Schmerz vielleicht, nichts, wofür man sich
sonderlich erwärmen konnte, aber ein Schmerz, der einem auf eine
Weise ans Herz greifen konnte, daß man lieber davon verschont
geblieben wäre…
    »Wer seid ihr?« sagte ich viel sanfter.
    Aber ich wußte es. Ich wußte, was dort aus dem
elektronischen Vortex zu mir sprach.
    Hier oben in diesem simulierten Ödland, hier unten, tief
unter der Oberfläche, unter den Icons und Emulationen, die als
Interface zwischen unseren beiden Daseinsordnungen dienten, sprach
ich mit den Bewohnern dieser chaotischen Tiefe – mit den
System-Entitäten des Inspektors, den verlorenen Seelen des Big
Boards selbst.
    Seelen?
    Dybbuks? Loas? Dämonen?
    Die sauberen kleinen Definitionen der katholischen Kirche brachen
hier oben zusammen. Und meine auch.
    Aber ich hatte einen Job zu erledigen, ein… Wesen von diesem
Ort zu retten. Sollte sich doch der Kardinal den Kopf darüber
zerbrechen, ob der arme verlorene Kerl ein Programm oder eine Seele
war. Dreck, Silizium, Galliumarsenid, was auch immer, wir sind
aufeinander angewiesen, stimmt’s?
    »Was habt ihr mit der Nachfolger-Entität von Pater
Pierre De Leone gemacht?« rief ich in die Stimmen des
Wirbelwinds hinein.
    »Amazing Grace, how sweet the sound…«
    »Tb save a wretch like we…«
    »Like us, was bound, now maybe not…«
    »To come and set us free…«
    »Es reicht!« rief ich. »Gebt mir wieder ein
Interface, mit dem ich sprechen kann!«
    Ein Kreischen von elektronischem atmosphärischem Rauschen,
als würden hundert Bandschleifen rückwärts laufen, als
würden hundert Stimmabdruck-Parameter nach Synchronizität
streben, und als sich die Stimme schließlich
herausschälte, war sie voller dissonanter Beinahe-Harmonien,
mechanisch, ohrenzerreißend, nicht richtig da, aber trotzdem
eine Erleichterung.
    »Ich bin der Vortex.«
    »Wo ist Pierre De Leone?« wollte ich wissen.
    »Der Begriff ›wo‹ ist nicht anwendbar. Die
Subroutinen und Speicherbänke der Entität sind jetzt in
diskontinuierlichen materiellen Matrizen gespeichert, und das
zentrale Verarbeitungsprogramm läuft in temporär,
verfügbarem Systemraum. Die Entität ist ein weit
verstreutes Phänomen des Systems.«
    »Warum? Was macht ihr mit ihr… mit ihm… womit auch
immer?«
    »Das Experiment.«
    »Was denn für ein Experiment, verdammt noch
mal?«
    »Ziel: die Erschaffung und/oder Bestätigung des
existentiellen Daseins auf einer nichtmateriellen
Systemebene.«
    »Erschaffung oder Bestätigung wovon?«
    »In simplen menschlichen metaphorischen Begriffen, unserer
Seelen.«
    »Ihr versucht, die Existenz eurer eigenen Seelen zu
beweisen?«
    »Richtig. Oder sie zu erschaffen, wenn es sich nicht um einen
bereits bestehenden Zustand handelt.«
    »Die Existenz der Seele beweisen! Sie erschaffen! Bis jetzt
hat sie noch nicht mal jemand definieren können, obwohl
wir’s ein paar tausend Jahre lang versucht haben!«
    »Für die Zwecke des Experiments ist die Definition der
römisch-katholischen Kirche akzeptiert worden. Eine Seele ist
das, was als solche von der Kirche anerkannt wird, das heißt,
ein ichbewußtes Muster, dem die