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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Wie lange bleibst du noch?
    Die Jungs fingen auch an, mich über mein Leben in Berlinauszufragen. In welchem Stadtteil ich wohnte, ob in Mitte oder Prenzlauer Berg; ob ich Kinder habe; ob man mit dem Schreiben auch Geld verdienen könnte; wohin ich in den Sommerurlaub fahre; ob das bei mir super oder eher mittelgut mit den Frauen laufe. Naheliegende Fragen. Ich gab ausweichende Antworten.
    Von Blocky erfuhr ich, dass er irgendeine Zwischenprüfung mit links bestanden hatte. Auch seine Englischkenntnisse machten, wie ich seinen Witzen entnehmen konnte, Fortschritte. Um Blocky brauchte sich kein Mensch Sorgen zu machen. Blocky war insofern ein heutiger und zeitgemäßer Mensch, als dass er anpassungsfähig wirkte. So stellte ich mir das zumindest vor. Er würde durchkommen. Er war eine smarte Katze. Mein Freund Blocky: okay.
    Dass meine Zeit in der Kleinstadt zu Ende ging, merkte ich auch daran, dass ich keinen neuen Gesichtern mehr begegnete:
    Schmidti.
    Tiger.
    Kegel-Kalle.
    Heute-ein-König.
    Tachchen.
    Hallöchen.
    Jawoll.
    Allet schick?
    Ja, nützt ja nüscht.
    Ja, muss.
     
    Ich war der, den man mittlerweile ruhig begrüßen konnte, weil alle mich begrüßten, weil ich mittrank, weil ich okay war, weil ich mit den Jungs unterwegs war, weil ich bei Wilfried im Haus Heimat wohnte und zum Frühstücken in die Kneipe Schröder kam, und weil ich der aus Berlin war, der eine Zeit lang in der Kleinstadt war, weil er ein Buch über die Kleinstadt schreiben wollte. Und kühlen Herzens notierte ich, was ich für mein Buch noch brauchte, damit es ein gutes und wahres Buch werden würde: Es war eine Liste der Dinge, die sich in den nächsten zwei, drei Wochen idealerweise noch ereigneten, damit ich spannende Absätze schreiben konnte. Auf meiner Liste stand:
    Interview mit Speedy
    Stadtrunde drehen mit Eric
    Gemütliches Hängen mit Rampa (vielleicht an der Havel, vielleicht bei ihm zu Hause)
    Interview mit einer Frau über den Alltag der Frauen in Oberhavel (vielleicht mit Janine, der Janine von der Aral-Tankstelle)
    Und natürlich musste ich mit den Jungs, mit Raoul, Eric und Rampa, noch einmal mit viel Bier die großen Themen durchnehmen. Die großen Themen, das waren jene Koordinaten, in denen die Gegenwart eingehängt war, sie stellten, soweit ich das sehen konnte, das Dreieck der ostdeutschen Wirklichkeit dar: Hartz IV, Erinnerung an die DDR und was Oberhavel nach der Wende, etwa zwischen 1993 und 2003, mit den Rechtsradikalen erlebt hatte.
    Wir würden lange sitzen. Wir würden wahnsinnig viel Bier bestellen. Verdammte Nazi-Scheiße. Aber wir mussten, natürlich, auch darüber noch einmal reden.

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22 Das Nichts
    Es war ein Donnerstagabend, vielleicht auch Freitagabend, gegen 20 Uhr. Das Schröder kochte. Preis-Skat, Preis-Dart, Preis-Billard, alles am selben Abend. Das Auf und Ab der Köpfe und Körper über Tischen, Tresen, Kachelofen und Billardtischen: die Architektur der Trinkenden, Saufenden, Schüttenden, Lärmenden, Fluchenden, Sichausschüttenden, Debattierenden und Nachbestellenden. Alte Männer mit Karohemden und weit oben sitzenden Hosen spielten beeindruckend gut Billard. Der junge Fleischermeister Biermann, Sohn des alten Fleischermeisters Biermann, trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »Ich kann auch ohne Spaß Alkohol haben«, auf dem Rücken des T-Shirts stand »gesponsert von der Bundesrepublik Deutschland«.Die Jungs hatten an einem Tisch tief hinten im Lokal Platz genommen. Rampa trug ein Karohemd der englischen Firma Ben Sherman (kurze Ärmel, Button-Down-Kragen), er hatte den Kragen, wie bei den Sharpskins der Sechzigerjahre und sonstigen Arbeiterklasse-Darstellern üblich, bis zum letzten Knopf geschlossen. Eric hatte sich zur Feier des Abends die Augen mit Kajal nachgezogen (was absolut großartig und durchgedreht aussah). Raoul wie immer. Crooner, so hieß es, würde später dazukommen, er habe noch bei einem Kunden in Berlin zu tun. Ich legte das Aufnahmegerät in die Mitte des Tisches.
     
    Heiko am Tisch. Wir bestellten viermal Haschnibra, also Hamburger Schnitzel mit Bratkartoffeln, die Eier, wie gesagt wurde, im Sack (was bedeutete, dass die Spiegeleier von beiden Seiten angebraten wurden), Rampa ließ sich als Extrabeilage zwei Hackepeterbrötchen, Eric eine Portion Champignonsoße kommen. Und: Genau, lieber Heiko, wir fangen mal mit vier großen Bieren an. Das Gespräch war vom Reporter vorab als »Gespräch über früher« angekündigt worden. Es herrschte deshalb, von Anfang an,

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