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Deutschboden

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Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Der zweite Zusammenbruch kam dann, umso gründlicher, mit der Wende.
     
    Vor gut zehn Jahren war der letzte Ziegelofen erloschen. Die riesigen Tagebaue hatte man in den Fünfzigerjahren mit Wasser geflutet: So war nördlich der Kleinstadt eine Seenlandschaft entstanden, die genau genommen keine Seenlandschaft, sondern eine verlassene Industrielandschaft war. Die sogenannte Tonstich-Landschaft, ein Teppich aus rund fünfzig Gewässern, sei bei Naherholungs-Urlaubern, so das Amt für Tourismus, bei Anglern und Radfahrern und bei Beobachtern des Fischotters, der Biber und der großen Rohrdommel, sehr beliebt.
    Heute, so meine Internetrecherchen, wusste Oberhavel auch nicht so genau: eine Stadt, in der alles früher einmal gewesen war. Zu zehn Teilen Gegenwart kamen immer neunzig Teile Vergangenheit dazu, mindestens.
    Der Stolz auf die glorreiche industrielle Vergangenheit war überall auffindbar, mehr noch, er machte bis heute einen Großteil des Selbstverständnisses, der Identität der Oberhavler aus. Aber diese Identität war brüchig geworden, in dem Maß, in dem die Industrie weggebrochen war.
    Klang doch alles schlüssig: So dachten also Menschen im Internet über Oberhavel nach. Es gab auch kluge Leute, die darauf hinwiesen, dass die vierzig Jahre der DDR vergleichsweise folgenlos geblieben waren gegenüber den achtzig Jahren der klassischen Industrialisierung, in denen hier die Öfen gebrannt hatten.
     
    Gab man im Internet den Namen der Kleinstadt ein, dann kam sehr bald, gleich nach den offiziellen Seiten der Stadt, eine ganz andere Geschichte: Vor einigen Jahren war in der Kleinstadt der jüdische Friedhof geschändet worden. Grabsteine waren umgeworfen und mit rassistischen Symbolen beschmiert worden. Da war noch einmal alles, was man sich als Städter oder Westmensch schon immer über die Kleinstadt im Osten gedacht hatte, wie eine unheilvolle Gleichung aufgegangen: Brandenburg – Kleinstadt – jüdischer Friedhof – Schändung – widerliche Sache. Drei Sechzehnjährige, von denen mindestens zwei durch neonazistische Gesinnung und Taten aufgefallen waren, hatten für die Tat haftbar gemacht werden können. Im Jahr 2007 waren erneut fünf Grabmale beschädigt worden, wobei nie abschließend geklärt werden konnte, ob ein Unwetter oder menschliche Zerstörungswut ursächlich gewirkt hatten.
    Gab es sonst noch irgendwelche wissenswerten Daten zur Kleinstadt Oberhavel?
    Ach, eigentlich nicht.
    Mit 32 Prozent stellte die SPD im Stadtparlament die meisten Sitze. Die NPD hatte es hier nie in den Stadtrat, nie in den Landkreis geschafft. Der Bürgermeister, ein gestandener, allseits respektierter Mann aus der Region, sollte, so hörte man, ein voll okayer Typ sein.
     
    Und nun war es Montagmittag: ein Uhr in the City of Oberhavel.
    Es war, das musste man beim Anblick der Einkaufsstraße denken, absolut kein asoziales Städtchen, keine von den sensationell heruntergekommenen und hoffnungslosen Trostlos-Städten (die mochte es in Mecklenburg-Vorpommern noch öfter geben, in Brandenburg wurden sie gerade eine Seltenheit). Die Zeichen der Aufgeräumtheit und Bürgerlichkeit überwogen überall. Es war, auf den ersten Blick, ein Bild der Freundlichkeit, Buntheit, Geschäftigkeit und Normalität, wie es am Vorabend im deutschen Fernsehen gesendet wurde.
    Viele Menschen waren älter, also über fünfzig Jahre alt. Sie trugen Plastiktüten, große bunte Jacken und große bunte Hosen, standen in Grüppchen auf dem Bürgersteig und unterhielten sich. Oder sie standen vor den Läden oder in den geöffneten Ladentüren. Viele Menschen guckten einfach nur, rechts und links und wieder rechts, die Straßen hinunter. Dann traten sie in ein Ladenlokal ein und kamen bald wieder heraus, um sich erneut hinzustellen und erneut die Straße hinunter zu gucken.
     
    Autos waren wichtig.
    (Der Reporter wusste leider nichts von Autos, was schade war, man hatte einfach vergessen, ihn in frühen Lebensjahrenin diese Welt einzuführen, weshalb ihm heute das Basiswissen fehlte, er konnte nicht einmal einen Ford Focus von einem Opel Astra unterscheiden, geschweige denn die Kunst der Kleinstadt-Menschen wertschätzen, die ihre Autos mit allerhand Spoilern, Auspuffen und Extralampen schöner und mit getunten Motoren schneller machten. Der Reporter stellte sich vor, wie toll das wäre, in der Kleinstadt ganz nebenbei einen Auto-Grundkurs zu erhalten, und freute sich auch darauf.)
     
    Es wurde unentwegt in Autos eingestiegen, aus Autos

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