Deutschboden
ausgestiegen, in Parkplätzen vor- und zurückgefahren, an offenen Autos gestanden und sich unterhalten, sich durch offene Autofensterscheiben begrüßt und verabschiedet. Die in den Autos grüßten die Fußgänger und andersherum. Gehupt wurde in der Kleinstadt eher wenig. Menschen saßen auch einfach in Autos, die Scheiben geschlossen, und taten nichts außer im Auto zu sitzen und aus dem Auto herauszuschauen. Ein interessanter Typ des Autofahrers war der, der mit geöffneter Autotür in seiner Parklücke stand, einen Fuß im Auto, einen Fuß auf der Straße, und nichts tat. Es gab jede Menge Parkplätze.
Sparkasse.
Dresdner Bank.
Allianz Versicherungen.
Volksbank.
Der Drogeriemarkt Schlecker hatte das schönste Haus am Platz. Es lag auf dem Marktplatz Ecke Spandauer Straße.
Es gab sogar einen Buchladen.
Ich musste nun – klassisch schöne Aufgabe für den ersten Tag – entscheiden, welchem der zwei Fleischer ich als Fleisch-Fan mein Vertrauen schenken wollte: Fleischerei Schiller am Marktplatz oder Fleischerei Biermann auf der Spandauer Straße. Beide Fleischereien wirkten gut in Schuss.
Beim Fleischer Biermann standen gleich drei Pokale in der Auslage. Hier ließ ich mir vier Brötchenhälften, zwei mit Mettwurst, zwei mit Hackepeter, schmieren und in Papier einwickeln. Zwei Euro, bitte.
Zwei Euro? Echt? Nicht bisschen mehr?
Nee. Zwei Euro, bitte. Das ist ja superwenig.
(…)
Bitte.
Danke.
Ich wickelte die Brötchen noch im Ladenlokal stehend aus und fing gleich an zu kauen, und Frau Biermann, die die freundliche Omi hinter der Theke war, nickte mir zu. Ein Mann im braunen Anzug betrat den Laden:
»Salami.«
»Irgendeine besondere Salami?«
»Nö. Salami.«
Und Frau Biermann sprach, als sie sich in die Auslage beugte, in süßlich leierndem und jammerndem Singsang, dem man anhörte, dass Frau Biermann das Bedienen alter Leute gewohnt war: »Na, denn nehmen wir mal unsere hausgemachte Salami. Denke mal, dass wir dann beide nichts falsch gemacht haben.« Ich sah eine Fleischerin und einen Brauner-Anzug-Mann, die nun beide nichts falsch gemacht hatten.
Und zu mir sprach Frau Biermann: »Schmeckt’s? Ja, da schmeckt’s immer, wenn man unterwegs ist, das ist schön.« Und sofort hatte ich Angst, die Kleinstadt könnte so bunt, freundlich, harmlos und dufte sein, dass es hinten und vorne für eine gute Geschichte nicht reichen würde.
Da preschte ein Skinhead-Kämpfer auf einem Mountainbike – geschätzte 18 Jahre alt, im Achselhemd und mit einem etwa hundert Kilogramm schweren Armeerucksack auf dem Rücken – die Straße herunter.
Sah super aus.
Es ging nicht viel schöner.
Und so ging es schon wieder.
Vor einer Klostermetzgerei genannten Auslage – mitten auf der Einkaufsstraße, also wirklich mittendrin im Städtchen – saßen die Penner.
Hinter ihnen der Getränkemarkt.
Das waren gerade zwei Kollegen, die da saßen.
Einer hatte ein Cordhütchen auf dem Kopf, Stoffbeutel zwischen den Füßen, Bierfläschchen in der Hand. Guckte da – graubraunlilarot verquollenes Säufergesicht – unter seiner Cordhutkrempe hervor. Ich sah jetzt, dass der Mann mit dem Cordhut Prellungen und Schürfwunden in seinem graubraunlilaroten Säufergesicht hatte.
Für beide war der Zug abgefahren.
Da saßen zwei Mal geschätzte zehn, eher zwanzig Jahre Arbeitsunfähigkeit wegen Alkohol.
Und so setzte ich nun, voller Eindrücke – die natürlich viel zu viele waren für die ersten zwanzig Kleinstadt-Minutenan einem helllichten Tag – vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Versuchte mitzuhalten, nicht hinzufallen, mich einzureihen in die Kleinstadt.
Bei Conny’s Haushaltswaren ging ich mir einen Rucksack mit Camouflage-Muster kaufen – armseliges Manöver: Ich stellte mir vor, dass dieser Gegenstand, halb Techno, halb Bundeswehr, bei den Bürgern Ost-Deutschlands gut ankam und ich so die Angriffsfläche, die ich den Einheimischen bot, verkleinerte. Die Einkaufsstraße lief ich noch einmal mit möglichst beiläufigem Blick, der nicht so viel sehen wollte, hinunter.
Ich sah viele Frauen mit Kinderwagen. Gerne liefen die Mütter zu zweit nebeneinander den Bürgersteig hinunter, jede Mutter ihren Kinderwagen vor sich.
Die Mütter waren jung, zwanzig Jahre alt oder jünger. Ihre Haare waren asymmetrisch geschnitten; der Grundton der Haare war weißblond oder kohlrabenschwarz, und in diesen Grundton waren einzelne Strähnen oder Passagen in stark kontrastierenden Signaltönen,
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