Deutschboden
in Hellgrün, Hellrot oder Hellgelb, hineingefärbt.
Viele der Mütter, die einen Kinderwagen schoben, hatten zusätzlich ein Kind auf dem Arm oder hielten ein Kind an der Hand, das neben ihnen auf dem Bürgersteig lief.
Viele abgearbeitete Gesichter. Vor allem Frauen über sechzig hatten Gesichter, die aussahen, als hätten sie viele Jahre lang eine Arbeit gemacht, die den Kopf abgestumpft und den Körper geschunden hatte. Die harte Arbeit hatte aus Frauengesichtern Männergesichter gemacht. Die Männer, die ich sah, hatten komischerweise längst nicht so harte und so erschöpft aussehende Gesichter.
Die ganz normale Feindseligkeit untereinander war groß. Natürlich gab es einen beinharten Umgang unter den Männern. Aber das war nichts gegen die Härte, mit der die Frauen miteinander umsprangen: In den Drogeriemärkten, vor den Fleischtheken, auf dem Marktplatz konnte ich sie einander niedermachen hören. Es wurde sich nichts geschenkt. Es wurde geschimpft, gebellt, geraunzt, geschnauzt, gewettert. Komisch, fast schien es, als ob der übermäßige Alkoholkonsum, der unter den Männern üblich, unter Frauen aber natürlich längst nicht so verbreitet war, den Männern für ihren Alltag eine Milde, Nachsicht und Durchlässigkeit der Empfindungen schenkte, die den Frauen verwehrt blieb. (Moment: Möglich und wahrscheinlich war es, dass sich die Züge der Frauen gerade wegen der konstanten Zugedröhntheit ihrer Männer so verfinstert und verhärtet hatten, während die Männer zu Mitgefühl oder sonst einer Empathie in Richtung ihrer Frauen grundsätzlich nicht mehr imstande waren.)
Männer unter vierzig hatten kurze Haare, ausnahmslos. Genauer: Die Haare waren über den Ohren und am Hinterkopf abrasiert, auf dem Kopf saß ein gleichmäßig kurz geschnittener Haardeckel. Dreiviertelhose, T-Shirt, Turnschuhe, gerne Ohrring, Tätowierung auf einem der beiden Unterschenkel dazu – fertig war der Proll-Fighter.
Ich dachte nach. Unklar war, was zuerst da gewesen war, der tätowierte Unterschenkel oder die Dreiviertelhose, die den tätowierten Unterschenkel zur Schau stellte.
Der Proll-Fighter war auch insofern eine neuartige, eine zeitgemäße und moderne Erscheinung, als er die traditionellen Geschlechterrollen, die noch von irgendwann,vielleicht noch aus den Fünfzigerjahren stammten, längst überwunden hatte. Für einen echten Mann, wie man ihn früher (in Filmen) gekannt hatte, war er, Proll der Gegenwart, viel zu sehr mit dem Lack seines Äußeren beschäftigt.
Nirgendwo anders, das dachte der Reporter, der auf der Spandauer Straße stand, hatte das Konzept des Metrosexuellen so eingeschlagen wie in der Kleinstadt. Die Killer-Prolls mit ihren rasierten Schädeln, ihren Goldketten, Unterhemden und tätowierten Unterschenkeln sahen aus wie starke und gefährliche Männer – und wie Schwuchteln aus dem Sonnenstudio.
Der Superproll musste sich unentwegt mit seinem Körper beschäftigen, um sich zu spüren. Seine Körperflüssigkeiten hatte der Superproll, um mit ihnen Geräusche zu machen, damit er sich selber hören konnte. Also:
Husten.
Räuspern.
Rotze-in-der-Nase-hochziehen.
Rotze-im-Hals-hochziehen.
Rotze-im-Mund-herumschwenken.
Ausspucken.
Jetzt betrachtete der Proll seine Fingernägel.
Und von vorne.
Nach seinem Auto hatte der Proll, der als Hartz-IV – Empfänger in der Kleinstadt und auf dem Lande massenhaft Zeit zu verschwenden hatte, seinen eigenen Körper entdeckt. Den Körper behandelte er so, wie er sein Auto behandelte – mit einer Akribie, mit einem Sinn und einer Liebe fürs Detail, die in der Großstadt so selten anzutreffenwar (vielleicht auch deshalb, weil der nicht arbeitende Mensch in der Kleinstadt weniger Ablenkung als in der Großstadt hatte, also noch mehr auf sich, sein Auto und seinen eigenen Körper zurückgeworfen war). Die Techniken des Körper-Tunings hießen Fitnesstraining, Sonnenbankbaden, Körper-Waxing, Augenbrauen- und Schamhaarrasur, Piercing, Branding und Tätowieren. So war, abseits der Großstadt, eine eigene Sorte Männlichkeit entstanden: der gefährliche, dabei ziemlich schmuck und schwul aussehende Superproll. Er, Superproll, auch das war auf der Hauptstraße der Kleinstadt zu beobachten, trug auffällig oft eine schmale, rechteckige, aus filigranem Leichtmetall gearbeitete Brille. Die Firma Fielmann hatte ganze Arbeit geleistet.
Ich sah ihn nun fast überall, den Superproll des Ostens. Einmal ausgemacht, war praktisch nur noch er zu
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