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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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sehen. Er stieg aus Autos aus, kam mit Hund an der Leine den Bürgersteig heruntergewatschelt oder stand rauchend auf dem Gehweg. Viele Proll-Fighter hatten an Lieferwagen zu tun, mit Ausräumen und Einräumen, mit Anfahren, Türen auf- und zuschwenken und wieder Abfahren. Sie trugen die Uniform des arbeitenden Mannes, den blauen Handwerkeranzug.
    Mein Impuls war: Jetzt besser aufpassen, jetzt besser still und arm und klein nach unten gucken – sonst knallt es, sonst wirst du gleich am ersten Tag zwischen ProllFighter-Schultern eingekeilt, und es gibt auf die Fresse.
     
    Es war ein Talent, ein Wesenszug der Bevölkerung der Bürgersteige in der Kleinstadt, dass sie mich, den Reporter, auf den ersten Blick als West-Menschen, Eindringling,potenziellen Störenfried, identifizierte. Bloß erwischen ließ die Bürgersteig-Bevölkerung sich bei ihren Blicken nie. Der Kleinstadt-Mensch konnte unheimlich gut hingucken, ohne beim Hingucken gesehen zu werden. Dem Eindringling schaute der Kleinstädter in den Rücken und in die ungedeckten Seiten, nur selten ins Gesicht.
     
    Ich machte dann das, was in der Kleinstadt immer geht, nämlich nach Motto-T-Shirts Ausschau halten.
    Da kamen: »New York State of Mind«.
    »Absolute Perfection« (goldener Schriftzug auf einem weißen Sweatshirt).
    »Ich bin dick und du bist hässlich« (dicker Mann, der mit Frau, Kind und Kinderwagen unterwegs war).
    Der Klassiker »Ost-Berlin« (weiße Schrift auf schwarzem Grund, »Ost« in Runenschrift geschrieben).
     
    Schon am Nachmittag ahnte ich, dass die Spandauer Straße vielleicht ein schmuckes Einkaufssträßchen war, die meisten Läden aber, gleich, wie bunt und fröhlich sie aussahen, ziemlich am Ende waren, also eher eine Idee ihrer selbst, als eine gut laufende Ware verkauften.
    Überall war Rabattwoche. Das Werben für die Artikel funktionierte nicht über ihre Nützlichkeit oder eine besondere Qualität der Waren, sondern ausschließlich über Aktionspreise und Sparpreise.
    Viele Läden mussten noch etwas anderes anbieten als das, was auf ihren Schaufenstern stand, damit sie über die Runden kamen: Die Postagentur verkaufte Fahrräder, ein Haushaltsladen war gleichzeitig Änderungsschneiderei, das Schneideratelier gleichzeitig Steuerbüro, im Blumenladenam Markt konnte man – lustig anzusehen – eine gebrauchte Playstation 2 für 60 Euro, kaufen.
    Im Billig-Discounter Fun Factory, der an günstiger Stelle, nämlich schräg gegenüber vom Eiscafé lag, gab es der Einfachheit halber, ähnlich wie bei Siggi’s Laden, alles zu kaufen: Kaffeemaschinen, Eierkocher, Schnorchelsets für Kinder, Riesenpuppen, Mikrofaser-Bettwäsche, Hello-Kitty-Bälle, Gießkannen, Dusch-Das-Duschgel und das Buch Ich liebe dich einfach so wie du bist . Auf dem Bürgersteig vor dem Quelle-Laden schließlich war ein Warnschild aufgestellt: »STOPP. Bar-Ankauf, Familienschmuck, Altgold, Silber, Zahngold (auch mit Zähnen). Jetzt sofort Geld in bar. Machen Sie Ihrem Gold.«
    Die Videothek am Markt hatte ein selbst gemaltes Schild im Schaufenster hängen: »Jetzt mit Grillfleisch«. Das musste der Mann mit Hut natürlich genauer wissen. Frage bei der Frau in der Videothek, wie das »Jetzt mit Grillfleisch«-Schild im Fenster der Videothek zu verstehen sei. Sie kam gleich hinter der Theke hervorgelaufen, schob die Gefriertruhe auf, in der Eis und abgepacktes Fleisch lagen, und zeigte da hinein: »Na, das läuft jetzt erst neu an. Die Leute haben ja meistens das Fleisch vergessen, wenn sie sich einen Film ausleihen gehen. Da bieten wir jetzt also Bratwürste und mariniertes Grillfleisch, fertig abgepackt, zum Filmerlebnis an.«
     
    Ich drehte größere Runden, kam weiter und noch ein Stück weiter weg und versuchte, Stimmungen aufzunehmen: schmuckes Amtsgericht (Barockfassade), Zisterzienserinnen-Kloster, Friedhof der Roten Armee, Mahnmal für die Opfer des Faschismus, das Sportlerheim »SV Oberhavel 1920 e. V.«. Oben vom Stadtpark konnte ich, vielleicht fünfhundert Meter entfernt, am Ortseingang und Ende einer Rennstrecke, die an Autohäusern vorbeiführte, das blaue Licht der Aral-Tankstelle leuchten sehen. Der Reporter hatte auf seinen Runden durch die Kleinstadt nicht einen Türken, nicht einen Araber gesehen. Das fiel auf. Das kannte man als Großstadtmensch einfach anders: Die in Wedding und Kreuzberg das Straßenbild bestimmten, die waren hier offensichtlich verboten. Und die Asiaten, die in der Kleinstadt arbeiteten, die guckten als

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