Deutschboden
Knusprige-Ente-Bräter nicht hinter ihren Asia-Bistro-Scheiben hervor.
Am Kirchplatz blieb ich vor einer, wie man sagte, liebevoll renovierten Fassade stehen: Backstein. Vinothek und Kräuterei. Nostalgisches, Kunst & Krempel. Ich bekam gleich einen Riesenschrecken. Die Speisekarte empfahl ein »Feines Linsen-Meerrettich-Süppchen mit frischen Kräutern«. Im Fenster waren Weinflaschen und allerhand antiker Schnickschnack wie Messingglöckchen, Zinkbesteck und bemalte Engelchen drapiert. Am kommenden Freitag, so der Kulturkalender, würde im Backstein der Abend »Deutschstunde/Satire aus Ost und West« stattfinden. Der Backstein verstand sich als Mischung aus Café, Weinhandlung, Trödelladen, Kulturbegegnungsstätte und Kräutergarten mit Terrasse – von allem ein bisschen und das alles mit viel Liebe gemacht. Auch bestand die Möglichkeit, im ersten Stock in drei niedlich renovierten Zimmern zu übernachten. Geführt wurde der Backstein von zwei Herren, gebürtig aus Rostock, vor 15 Jahrennach Oberhavel gekommen, beide sympathisch, einem älteren Herrn mit Schnauzbart, einem jüngeren mit Lesebrille.
Ich staunte, in meiner Kleinstadt einen Ort wie diesen zu finden. Dann staunte ich nicht mehr und sah die Kleinstadt, sah überhaupt meine Reise fortan mit anderen Augen. Man durfte nicht enttäuscht sein: Ganz gleich, wo man hinkam, Kultur und Geschmack, der Trödelsammler, Weintrinker, Kleinkunstliebhaber und Feine-Kräuter-Kenner waren immer schon vor einem angekommen. Überhaupt war die Kultur, waren Rotwein, Porzellanengel und Satireabende an sich ja keine schlechten Sachen. Aber ich, der Reporter, hatte mich sehr darauf gefreut, in der ostdeutschen Kleinstadt einmal, wenigstens für ein paar Wochen lang, ohne diese Dinge zu sein. Ging nicht: in Ordnung. Da mussten wir uns drauf einstellen. Der Jüngere (Lesebrille) erzählte, während der Ältere hinten die Milch für einen Cappuccino hochschäumte: Es sei schon eine kleine Stadt, also ganz das Gegenteil einer Großstadt. In den ersten Wochen habe man ihnen noch den Speisekartenkasten demoliert, Kleinstadt eben, aber die Aufregung habe sich längst gelegt. Die Leute in der Stadt seien nicht bösartig, aber schwer zu erreichen, einige praktisch nicht ansprechbar. Es gebe allerdings auch ein paar helle, kommunikative Charaktere, ums Eck zum Beispiel, gleich nebenan, Hansi und Heiko Schröder, gewissermaßen die erste Familie am Platz, Vater und Sohn, die gemeinsam mit ihren Ehefrauen die Gaststätte Schröder betrieben. Das seien gute Leute. Anständiges Essen, faire Preise, da gäbe es nichts zu meckern, das solle man sich merken. Man sei, so die netten Herren vom Backofen, immer eingeladen, sich hier hinzusetzen und wohlzufühlen und bei einer gemütlichen Tasse Cappuccino die taz zu lesen. Der Ältere am Automaten nickte stumm. Und ich dachte: Die freundliche Einladung ist angenommen. Mich hier hinsetzen zu diesen zivilisierten Menschen und ein Kaffeechen trinken, warum nicht? Und dann erzählt die Lesebrille, weil’s gerade so nett war, noch die Hit-Geschichte, die in der Kleinstadt in den letzten Monaten für Unterhaltung gesorgt hatte: Es war im Herbst letzten Jahres, als der Besitzer eines im Ort bekannten kleinen Betriebs, damals in schweren Geldnöten, in die Volksbank im Nachbarort gestürmt kam und einen Plastikrevolver an das Schalterglas hielt: »Ich brauche 3000 Euro, sofort. Das Geld überweisen Sie bitte …« Und dann hatte der arme Unternehmer dem verdutzten Bankbeamten die Kontonummer diktiert, auf die das Geld zu überweisen sei. Heute saß der arme Tropf im Gefängnis, sein Betrieb war von zwei Frauen übernommen worden, die ihn mehr schlecht als recht führten.
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5 Hauptstraße, später
Gegen fünf Uhr nachmittags nahm der Verkehr zu. Es waren jung und sehr jung aussehende Männer, die nichts Offenkundiges zu erledigen hatten. Sie drehten Runden. Sie fuhren Auto, damit sie Auto fuhren. Die Jungs waren paarweise unterwegs, Fahrer mit Beifahrer, und meistens trugen beide, Fahrer und Beifahrer, Baseballkappen auf dem Kopf. Auch schien es eine Art Parcours, eine abgesteckte Strecke durch die Kleinstadt zu geben, die etwa zehn Minuten lang dauerte, denn nach zehn Minuten tauchten dieselben Autos in derselben Besetzung an derselben Straßenecke wieder auf.
Musik war natürlich wichtig. Es machte meistens einfach Bumm. Ein Auto hörte die Techno-Proleten-Version von We Don’t Need No Education (herrlich, eisenhart, hundsgemein).
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