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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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offenbar ein Trick des Wirts, das erkannte ich gerade, seine Sachen so leise zu murmeln, dass der Zuhörer um Wiederholung bitten musste. Finster wiederholte dann, kaum lauter, kaum deutlicher, aber in deutlich genervtem Tonfall. Dazu grinste der Wirt ein Grinsen, das, ähnlich wie bei seiner Angestellten, eine Aussicht auf mehr war: einen Gag, eine Freundlichkeit, Herzlichkeit, kleine Klugheit, Spinnerei, sonst ein Wort-Geschenk. Bei ihm würde später einmal, vielleicht, unter Umständen, so das Gesicht von Herrn Finster, etwas nicht so Schlechtes zu holen sein.
     
    Finster, murmelnd.
    Ich: Watt? Wiederholtes Finster-Murmeln.
    Ich: Ja.
    Finster, nickend, grinsend, ab.
     
    Ich stand mit dem Rücken zur Tür in dem Zimmer, das mein Zimmer, meine Kammer in der Kleinstadt Oberhavel war, und hatte Herzklopfen, weil ich hier einen auf fahrender Geselle im 19. Jahrhundert machte, der sich beim Wirt in der Fremde ein Zimmer auf unbestimmte Zeit nahm, und ich spürte Begeisterung, wilde Entschlossenheit und das Fortbleiben aller bösen Geister. Ich dachte: Jetzt bloß nicht klein beigeben. Jetzt auf. Auf! Auf in die Gaststätte Schröder!

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6 Gaststätte Schröder
    Gegen zwölf Uhr nachts war der Reporter, der auch in der Kneipe seinen Hut selbstverständlich nicht abnahm, schon gut eine Stunde lang mit zwei ihm vollkommen fremden Männern, Ureinwohnern Oberhavels, wie sie sich nannten, im Gespräch gewesen, unfassbar. Das etwa fünfte Bier des Abends stand vor uns, der Reporter trank die kleinen (0,3 Liter), die Männer die großen Biere (halbe Liter). Ich glaube nicht, dass wir betrunken waren, nur auf dem Weg zu einem wirklich gelösten Gespräch – und damit nicht mehr weit entfernt von den Schnäpsen, die hier Kümmerling hießen und von Hansi Schröder, dem Vater des Heiko Schröder, als grüne Fläschchen auf die Theke geknallt wurden.
    Wir standen in der Ecke, in der es sich geschützt, also abgesetzt vom Rest des Lokals, stehen ließ: am Eingang. Da hingen zwei Spielautomaten, und da machte die Bar, die sich über die gesamte linke Seite des Lokals zog, einen rechten Winkel, weshalb man hier noch gemütlicher stehen und sich über Eck unterhalten konnte. Der eine der beiden war älter, ganz schön dick, mit kariertem Hemd, Dreiviertelhose, Bart, Brille, er stand neben mir, übern Tresen gebeugt; der andere jünger, groß, kräftig, leichter Bauchansatz, als hätte er in den letzten Jahren konstant über dem Limit getrunken und sich nicht gerade gerne bewegt, mit T-Shirt und Nike-Kappe. Ich sah, dass er hinter dem linken Ohr eine kleine Tätowierung hatte, außerdem war sein gesamter linker Arm mit bunten Tätowierungen zugestochen. Er brachte es fertig, sich gleichzeitig mit uns, dem Spielautomaten und seinem großen Bier zu beschäftigen.
     
    Das Thema der letzten Minuten war das Thema gewesen, das die Leute in dieser Woche wie kein zweites beschäftigt hatte: Am Wochenende sollte in Oberhavel ein Casting für die Filmproduktion Black Death stattfinden. Ein Fantasy-Thriller, ein Horrorfilm. Handlung: Mittelalter. Überall tobt der Schwarze Tod, nur ein Städtchen, im Film das Städtchen Oberhavel, war verschont geblieben. Der Engländer Sean Bean, bekannt aus dem Herr der Ringe , würde im Lauf des Films für das Gute sorgen. Oberhaveler waren aufgefordert, sich als Komparsen zu melden. 50 Euro am Tag, plus Catering. Im Herbst letzten Jahres, so erfuhr der Reporter, waren große Teile der Kleinstadtbevölkerung von Oberhavel zum Komparsen-Casting von Quentin Tarantinos Inglourious Basterds nach Berlin ge reist: erfolglos. Kein Oberhaveler hatte schließlich an der grandiosen Nazi-Erschießungs-Orgie im Finale des Films teilgenommen.
     
    Davor war es um das gegangen, was Menschen zueinander sagten, wenn sie sich in der Kneipe zum ersten Mal zunickten, es waren die naheliegenden Gesprächsthemen: die glorreiche industrielle Vergangenheit Oberhavels, Arbeitslosigkeit, Abwanderung und die natürlich wichtige Frage, ob es den Jammer-Ossi, diese Erfindung aus den frühen Neunzigerjahren, noch gab. Es war außerdem gesagt worden, was für ein verdammt hübsches Stadtchen das hier sei und was für ein verdammtes Glück ich hatte, dass ich ausgerechnet in diesem Städtchen, ihrem Oberhavel, gelandet sei.
    Der jüngere, geschätzte 28 Jahre alt, hatte gesagt: »Die Konzentration von Wald und Wasser, die ist es. Die hast du nur hier. Die hast du nirgendwo anders.« Und der ältere, geschätzte 45 Jahre alt, hatte

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