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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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hinzugefügt: »Wir haben hier ein riesiges geschlossene Waldgebiet; das größte geschlossene Waldgebiet Nordeuropas.« Ich hatte meinen zwei Bekanntschaften, wie ich mir das in Berlin vorgenommen hatte, erzählt, dass ich in ihrer Kleinstadt an einem Buch über eine Kleinstadt arbeite. Da könnte ich die Straßen, Kneipen und Menschen in den Kneipen als Inspiration gebrauchen. Das hatten sie nickend und mit wenigen höflichen Gegenfragen zur Kenntnis genommen – das fanden sie spannend und dann schnell eine nicht weiter aufregende Sache. Ich war angespannt, weil andauernd großartige Sätze fielen, ich aber, in dieser Phase des Rantastens und Anwärmens, mein Notizbuch noch nicht aus der Tasche ziehen wollte,geschweige denn meinen Olympus-Stift. Wir bestellten noch drei. Das wunderbare pilsgelbe Licht im Schröder.
     
    Es saßen, obwohl Mitternacht vorbei war, an die dreißig Männer vor ihren Gläsern und – verrückt genug, das einmal in echt zu erleben – diese Männer debattierten, stritten, schimpften, erzählten ganz in echt. Zwischen den Tischen schoss Heiko, der Sohn der Schröders, mit dem Kellnertablett umher und brachte neue Biere, Schnäpse und die schönen Brötchenhälften mit Käse und Hackepeter. Vater Hansi Schröder stand hinterm Tresen am Zapfhahn und hatte das Ganze im Blick.
     
    Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, als ich an diesem Freitag im Mai gegen halb acht abends die Tür der Gaststätte Schröder aufgeschwenkt hatte und durch den Windfang in den Gastraum eingetreten war.
    Ein bumsvolles Lokal. So etwas hatte ich selten, ganz gleich ob Großstadt, Kleinstadt, mittelgroße Stadt, gesehen. Es waren ausschließlich Männer in dem Gastraum, was einen als Stimmung, Temperatur, als Abmachung über die hier zu verbringende Zeit schon im Türrahmen angenehm anfasste und gleich merkwürdig beruhigte.
    Es gab nicht einen Mittelpunkt, es waren vielleicht fünf Mittelpunkte in diesem Gastraum. Links an der Theke, die sich über zehn Meter Länge zur Küchenausgabe streckte, saßen und standen sie in zwei Reihen. Im Hauptraum saßen die Männer an einer Tafel und an viereckigen Tischen, alle Tische mit karierten Decken gedeckt. Im Hinterraum, hinter einer ausziehbaren Wand, waren die Skatspieler in Dreiergruppen an vielleicht zwanzig Tische verteilt. Ineiner Nische, auf halber Strecke vor dem Tresen gelegen, stand ein gelber Kachelofen, davor der Stammtisch, jetzt von zehn, zwölf Männern besetzt. Der Aschenbecher auf dem Stammtisch war ein tellergroßer kupferner Aschenbecher, an dem ein Glöckchen hing.
     
    Die Männer trugen Jeansjacken, T-Shirts, karierte Hemden, Handwerkeruniformen und Trainingsanzüge mit der Aufschrift »SV Oberhavel 1920 e. V.«. Man sah viele Muskeln und eng sitzende T-Shirts, die die Muskeln zur Geltung brachten. Männer mit enorm kräftigen Hälsen. Männer mit enorm kräftigen Händen. Beliebt waren bedruckte Sweatshirts. Einige Männer trugen noch die Schuhe, die sie tagsüber auf dem Bau getragen hatten. Kopfbedeckungen trug man hier eher nicht. Die jüngeren hatten kurze bis sehr kurz rasierte Haare, die älteren trugen Metallbrillen, die noch älteren große Hornbrillengestelle im Gesicht. Ein paar Langhaar-Männer, alt gewordene Heavy-Metal-Fans, waren auch dabei. Es wurde auch gegessen an den Tischen, zwischen den Gläsern standen Teller mit Schnitzel, Currywurst und Brötchenhälften. Die Männer, die im Hinterraum Preisskat spielten, waren fast alle über sechzig, darunter ein paar grandios altertümliche Gestalten, mit kurzärmeligen Karohemden, Hosenträgern, Sandalen, vielleicht dreißig Jahre alten, also noch Original-DDR – Hornbrillengestellen. Die jüngeren, das sah ich gerade, trugen fast alle Ohrringe und jene »Tunnel« genannten Ohrsticker, die im Ohrläppchen ein Loch von bis zu zwei Zentimetern Durchmesser bildeten. Fast alle Männer, ob jünger oder älter, waren tätowiert.
    Heiko Schröder, mit seinem Vater Hansi hinterm Tresen beschäftigt, hatte den Reporter noch im Windfang erblickt: Ein Nicken.
    Blick ins Lokal, als wollte Heiko sich vergewissern, wie das Lokal das Eintreten des Fremdlings aufnahm.
    Alles ruhig.
    Erneutes Nicken.
    Guten Abend.
    Dann hatte Heiko Schröder wieder mit den Gläsern, die vor ihm auf dem Tresen standen, zu tun.
    Heiko: Mitte, Ende dreißig. Kurze, braune Haare, goldene Ohrringe, Bleistift hinterm rechten Ohr, flinke, schlaue, freundliche Äuglein. Kurzärmeliges weißes Kellnerhemd, Tätowierungen auf

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