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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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dem Arm. Er hatte die Balu-der-Bär-Freundlichkeit. Es ging – das sah man, nachdem man drei, vier Bewegungen von ihm gesehen hatte – eine prima Gesundheit, Lebensfreude, zupackende Bejahung der Umstände seines Alltags und Lebens von ihm aus. Seine Erscheinung wirkte schnell und wendig und – Unterarme, Rücken, Nacken – kräftig genug, sich, wenn es sein musste, drei Betrunkene gleichzeitig auf die Schultern zu laden und aus dem Lokal zu tragen. Wenn starke Menschen freundlich waren: gut.
     
    Vater Hansi: geschätzte sechzig. Etwa fünf Zentimeter kleiner als der Sohn. Die gleichen flinken, schlauen Äuglein, bloß hinter Brillengläsern. Die Haare trug er einen Zentimeter länger als sein Sohn. Das gleiche weiße Kellnerhemd, bloß eine Nummer kleiner. In allem war Hansi der Vater seines Sohnes, bloß eben zwanzig Jahre älter, entsprechend ruhiger, maßvoller, gelassener. Es ging ein kluges Haushalten der Mittel von ihm aus, jedem Griff,jeder Bewegung gab er exakt die Kraft, Geschwindigkeit, Spannung, Drehung, die sie brauchte. Man stellte sich vor, wo dieser Hansi vor zwanzig Jahren gestanden hatte: wohl in dieser Gaststätte, die Hand auf dem Zapfhahn liegend. Dieser Hansi, so dachte man, war vor zwanzig, vor vierzig Jahren schon Herr seiner Lage gewesen, Chef dieser Gaststätte, Chef seiner Familie.
     
    Heiko streckte sich, ein Bier in der Linken, mit der Rechten quer durchs Lokal zeigend, und rief mit einer Kneipenstimme, die über alle Köpfe hinweg trug:
    »Schmidti, was ist mit dir? Noch ’ne schöne Molle?«
    Und Schmidti, der in zweiter Reihe am Stammtisch stand, ein Langhaar-Metal-Monster, in einem Jeansoverall mit Heavy-Metal-Aufnähern, hob einen Arm und nickte, und Heiko, drei Bier auf dem Tablett, flitzte los.
    Diesen Heiko Schröder bei der Arbeit erlebend, dachte ich: Sieh an, Deutschland ist nicht böse, Deutschland ist ein feiner Kerl.
    Diesen Satz dachte ich wirklich.
    Dann stellte ich mir vor, wie man, einen Franzosen oder Engländer neben sich, auf Heiko Schröder am Zapfhahn zeigen und erklären würde: »Here. Look. Great German beer brewing tradition.«
     
    Von einer Lücke an der Bar, die sich für Sekunden aufgetan hatte, machte ich das Würde-gerne-essen-Zeichen, bekam die Speisekarte, bestellte Schnitzel mit Brot und ein kleines Bier und versuchte, ohne zu hektisch oder gar ängstlich zu erscheinen, meinen Platz an der Bar zu behaupten. Nach einer Minute standen Schnitzel und Bier vor mir.
    »Hatte sie gerade fertig«, sagte Heiko und zeigte auf die Küchenluke: »Da sagte ich ihr: Kannste mir gleich mitjeben, ditt Schnitzel, ditt wird jebraucht.« Heiko sprach natürlich ein astreines Brandenburgisch. Er legte, als er so sprach, eine Hand auf meine Schulter: Nicken. Das war die offizielle Willkommensgeste. Und er hatte weiter zu tun.
     
    Jetzt erst bemerkte der Reporter, dass es natürlich laut war in der Gaststube. Eine Hundertschaft Männer, die aus Gläsern trank und zu allem etwas zu sagen hatte, machte Krach. Es lief keine Musik. Über der Theke übertrug der Fernseher das UEFA – Cup-Halbfinale Werder Bremen gegen den HSV. Ton leise, aber laut genug, dass man die erregten Momente des Kommentators mitbekam.
    Also Blick auf den Fernseher. Dabei versuchte ich, das Lokal zu verstehen, also exakt jene Menge Blicke in das Lokal zu werfen, die ein Reporter werfen durfte, ohne zum sozialen Ärgernis zu werden:
    Es war das Gegenteil eines verwahrlosten Lokals. Alle Flächen waren blitzblank geputzt. Die Bar – beiges Pressholz, weiße Thekenoberfläche – war noch original DDR (Siebzigerjahre). Rechts neben dem Zapfhahn lagen die Bierdeckel der Trinker aus: Vorname, ein Bier, ein Strich. Das Buch, in dem die Trinker anschreiben lassen konnten, lag hinterm Tresen. Auf dem Zapfhahn klebte der Aufkleber »Steuern runter macht Deutschland munter: BILD«, daneben Aufkleber mit den Motiven SH Einheit Krewelin, Reifenwerkstadt Stralsund und Eisbären Berlin (»Die Welt ist eine Scheibe«).
    Grüne Stoffvorhänge über weißen Gardinen. Durch eines der Fenster hinterm Tresen konnte man die Reklametafel»Gehwol Fußpflege« sehen. Über dem Stammtisch hingen die Schwarz-Weiß-Fotos der freiwilligen Feuerwehr: Oberhavel in den Sechzigerjahren. Hinten auf einem Guckkasten mit den Seemannsknoten stand das Straßenschild »Promilleweg«.
    Die Uhr hinterm Tresen war ein verfremdeter Bierfassboden mit römischem Zifferblatt. Auf einer Platte in Form eines Pilsglases stand der Trinkspruch:

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