Deutschboden
einem Satz. Es stand ein phänomenaler schlaffer, müder, leerer, dabei freundlicher Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie guckte hin, weg, wieder hin. Wortlos. Ich wiederholte mein Anliegen. Ich sagte, ich bräuchte ein Zimmer für einige Nächte. Sie ging, das Geschirrtuch in einer Hand, zum Telefon, wählte, sprach: »Da ist ein Mann, der was will.« Zurück zum Spülkasten. Chef kommt gleich. Alles klar. Ich fragte schnell, bevor der Chef kam, ob das ein echter Baum sei, der hier im Gastraum stand. Sie fragte: »Watt?« Ich wiederholte, wobei ich die Hände wie einen Trichter um meinen Mund legte und so laut sprach wie in einem Witzfilm: »Ist das ein echter Baum hier im Gastraum?« Ich zeigte auf den Baum am Eingang, und als ich mich dagegenlehnte, merkte ich, dass der Baum aus Plastik war. Sie grinste. Es war, schon wieder, ein nicht so schlechtes Grinsen. Sie sagte, grinsend: »Der Baum ist echt.«
Der Mann, der nun aus der Tiefe des hinteren Gastraums kam, hatte rote Haut, weiße Haare und einen weißen Bart. Er trug die klassische deutsche Schankwirt-Uniform: schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze Lederweste, dazu die Billig-Gummisandalen von Crocs. Insgesamt sah der Wirt und Besitzer des Hauses Heimat in Oberhavel so aus, wie sich Kinder den Wirt im Wirtshau s im Spessart vorstellen mochten. Dafür, dass Finsters Haar so dünn war, trug er es erstaunlich lang, dasselbe galt für Finsters Bart.
Er hörte sich die Sache kurz an, verschwand, leicht vorn-übergebeugt, sein linkes Bein nachziehend, hinter der Theke, wo er einen Wochenkalender herauskramte und darin blätterte.
Er sagte:
»Maria.«
Maria! Maria legte Wilfried seine Lesebrille hin. Stieren. Brummgeräusche. Vor- und Zurückblättern. Wirt Finster führte vor, wie man dem Gast das Gefühl gab, dass nur ein absoluter Glücksfall dabei helfen konnte, dass an diesem Abend im Mai im Haus Heimat noch ein Zimmer zu haben sein würde. Die Süße spülte dazu und wischte und guckte stumm. Von hinten rief eine Frauenstimme:
»Wer randaliert?« Und Finster antwortete, in die Bücher gebeugt, leise, aber laut genug, dass ihn die Frau in den Hinterräumen hören musste: »Da randaliert nichts, Frau.«
Der Wirt erklärte, dass der reguläre Preis bei 45 Euro pro Nacht liege, dem Dauergast überlasse er das Zimmer für 20, mit Frühstück für 25 Euro.
Natürlich. Super. Abgemacht. Dann bitte ohne Frühstück.
Mit dem Wirt ging es in die Schwärze des hinteren Gastraums hinein, durch eine Holztür, auf der untereinander die Hinweisschilder »Toiletten«, »Notausgang« und »Hotel« aufgeklebt waren, in einen abermals vollständig finsteren, mit rotem Holz ausgelegten Klogang: Man lief auf einen braun gestrichenen Heizkörper zu, darüber einmit Gittern, Milchglas und Vorhängen verschlossenes Fenster. Finster öffnete eine Tür, und wir standen in einem deutlich helleren Flur, von dem eine Treppe in den ersten Stock und Türen zu Küche und Hof führten. Im Hof brummte ein Elektromotor. Alle Fenster im Treppenhaus waren vergittert, die Gitter mit Plastikefeu dekoriert. Elektrokabel lagen über dem Putz. Unterhalb der Treppe war eine sagenhafte Installation aus Kram aufgebaut, im Einzelnen: leere Blumen- und Kakteentöpfe, Wischeimer, Wischmopp, ein Fahrrad aus Bast, Gießkanne, Reinigungsmittelflaschen, ein zwanzig Jahre alter Staubsauger, Kasserollen. Im Flur und Treppenhaus ein milchig-saurer Geruch: Was roch so? Konnte es sein, dass die Summe der in der Vergangenheit gekochten Gerichte diesen Geruch entwickelte?
Ich sah beim Aufstieg in den ersten Stock eine Vielzahl von Materialien, deren genaue Bezeichnung mir nicht bekannt war. Auf den Treppenstufen wellte sich das Linoleum. Der Holzton wechselte von Blutrot zu Saunabeige. Im oberen Gang, der eng und niedrig wirkte, obwohl seine Maße wahrscheinlich ganz normal waren, gingen links die Zimmer ab, der Gang endete vor einer Tür mit dem Aufkleber »Privat«. Mein Zimmer war das mit der Nummer fünf, ganz am Ende des Gangs. Gegenüber meiner Zimmertür war ein kleines Regal aus Pressholz, in dem zwei selbst getöpferte Tonkannen standen, aufgebaut. Finster stieß die Tür meines Zimmers auf, zeigte hierhin, dorthin, übergab den Schlüssel. Ich hatte ein großes Bett, ein Badezimmer. Der Blick ging durch drei Fenster in eine enge Straße. In kaum fünf Metern Abstand konnte ich eine mit weißen Plastikplatten verkleidete Hauswand sehen.
Finster sagte etwas, was ich nicht verstand. Es war
Weitere Kostenlose Bücher