Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
Vom Netzwerk:
strubbelige Haare, Rucksäcke. Keine Nazis, eher ein Treffen der als Links-Alternative Verkleideten. Ein Junge trug sogar einen Irokesen-Haarschnitt. Ein Mädchen wurde von dem Punk-Jungen mit auf den Rücken gedrehtem Arm einmal um die Eiche geführt. Das Mädchen rief: »Auaaaa …« Es sah nach Spaß aus.
     
    Beim Kauf eines Schweineohrs in der Bäckerei Back Stopp ärgerte ich mich – schwachsinnig, deshalb überflüssig – über die neudeutsche Freundlichkeit, die im Einzelhandel längst allgegenwärtig war und von der ich gehofft hatte, dass sie in der Kleinstadt aus irgendwelchen Gründen vielleicht noch nicht angekommen wäre. Die Verkäuferin lächelte, als sie mir das Schweineohr über die Theke reichte: »Einen schönen Abend noch.« Wieso einen schönen Abend? Was dachte sie sich, die Verkäuferin, wenn sie mir in vollkommener Unkenntnis dessen, was heute noch vor mir lag, einen schönen Abend wünschte? Mein Abend würde massiv anstrengend, enervierend, anödend, trostlos, geisteskrank, brandgefährlich, aber sicherlich nicht schön werden. Auf Wiederschaun.
     
    Ich musste nun das erledigen, wovor ich mich den ganzen Tag gefürchtet hatte: Zimmer besorgen im Haus Heimat.
    Die Tür der Heimat stand offen. Nur einen Schritt hinein, und schon stand man mittendrin in etwas höhlenartig Finsterem. Und da fiel es mir wieder ein: Der Schritt in die deutsche Gastwirtschaft hinein war immer schon ein Schritt in die komplette Finsternis gewesen. Rötliche Hölzer – nein, man musste hier sagen: blutbraunfarbene Hölzer –, Messingarmaturen, Sitzpolster mit lilaweiß-grau-schwarz-goldenen Mustern. Der vordere, besonders enge Teil des Gastraums, in dem es einen Tresen mit Barhockern, ein erhöhte Sitznische und ein zweites Sitzplateau zum Fenster hin gab, öffnete sich nach hinten in einen größeren, fensterlosen, mit zahlreichen Tischen zugestellten und deshalb ebenso beengt wirkenden Raum. Die bestimmende Farbe war auch dort das Blutbraun der Hölzer. Der vordere und der hintere Raum hatten die absurd unpassende Anmutung einer gutbürgerlichen Stube im Regenwald, so viele Zweige, Blätter, Pflanzen waren zu sehen. Die Deckenlampen waren mit Tannenzweigen und bunten Bändern dekoriert; auf der Theke standen Töpfe, Vasen, Kelche, Eimerchen, aus denen allerlei Grünes, Weißes, Lilafarbenes, Blaues wuchs; jeder Tisch war mit einem Gedeck aus Vase, Papierserviette und Kerze dekoriert; zwischen den Tischen standen Raumtrenner, die als Blumenbeete dienten, in denen allerlei Schlingpflanzen-artiges, Krautiges und Stacheliges gedieh. Gleich neben der Gasttür wuchs aus dem Boden ein Baum, dessen von Efeu umschlungene Äste sich unter der Decke des Gastraums ausstreckten. Du liebe Scheiße, war das ein echter Baum?
     
    Noch einen Schritt weiter hinein. Hinter dem Tresen stand eine Frau, die ich sofort scharf fand und von der ichauf Anhieb sicher sagen konnte, dass sie mich während meiner Wochen in der Kleinstadt beschäftigen würde. Sie hatte einen enorm großen Busen. Auf ihrem Kopf saß ein dunkelblauschwarzer Haarhaufen. Ihr Gesicht war rundlich, vollmondig, an den Schläfen lilaweiß, um die Augen herum schwarz geschminkt, es sah insgesamt sehr niedlich aus. Die Augen waren grün (Kontaktlinsen), ihre Brauen fast vollständig gezupft und mit schwarzem Kajal nachgezogen. Sie mochte zwischen 19 und 28 Jahre alt sein, exakte Schätzung 23 Jahre. Sie sah, wenn es unten so weiter ging, wie sie oben aussah, ein wenig zu dick, dabei aber süß zu dick aus (ging es unten weniger günstig weiter, dann hatte sie, ganz ohne dass das irgendwie süß war, einfach einen dicken Hintern). Da stand sie mit ihrem Busen und ihren Haaren hinterm Tresen, ein Becken mit Spülwasser vor sich, in das ihre Hände und Arme bis zu den Ellbogen versenkt waren, und sie hielt den Kopf schräg und guckte ziemlich gut von unten nach oben. Ich hatte die Idee, dass sie sich jetzt einen Zeigefinger in den Mund legen und schüchtern lächeln müsste, um so richtig fünfzigerjahre-playboy-bunny-artig rüberzukommen. Das wäre toll gewesen, da hätten wir beide losgeprustet vor Lachen.
     
    So aber stand sie da und hielt jetzt ein Geschirrtuch in den Händen. Ich sagte: »Guten Abend. Ich suche ein Zimmer für länger. Ich möchte einige Monaten lang je drei bis vier Nächte pro Woche hier wohnen.« Sie guckte. Sie verstand nicht, besser noch, sie schien überhaupt nichts zu verstehen: Zu viele Zeitangaben, zu viele Nächte, Wochen,Monate in

Weitere Kostenlose Bücher