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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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»Die niemals lieben, trinken, rauchen, sind auch sonst kaum zu gebrauchen.« (Süß, dachte man, dass der Dichter dieses Trinkspruches das Lieben noch zum Trinken und Rauchen dazugenommen hatte: Ganz ohne Liebe, so hatte der Trinkspruchdichter wohl gedacht, wäre es doch eine zu traurige Welt.)
     
    Ich streifte mutig durchs Lokal und guckte, was da sonst noch so an den Wänden hing. Niemand kümmerte sich. Eine Dart-Maschine. Ein Wimpel mit dem Stadtwappen von Oberhavel; Kneipenfotos vom Rosenmontag; eine gerahmte BZ – Seite mit der Schlagzeile: »Berlin knutscht die Meisterbären« (Eisbären-Urgestein Sven Felski reißt den Pokal hoch: Der schönste Moment meiner Karriere); der lila Fanschal vom FC Dynamo Berlin, dem fünfzehnfachen Meister der DDR. Im Hinterraum bei den Skatspielern hingen die Blätter, die ein fleißiger Spieler vielleicht einmal im Leben bekam, alles wasserdichte Blätter, mit Hand und Ansage zu spielen, sorgsam gerahmt mit Namen des Spielers, Tag und Uhrzeit: ein Grand ouvert mit drei Buben, Pikflöte, zwei Assen.
     
    Jeder kannte jeden.
    Es kannte wirklich jeder jeden.
    Es gab, bis auf den Reporter, nur Stammgäste in diesem Lokal.
    Die neu eintreffenden Gäste klopften zur Begrüßung auf die Tischplatten. Beim Händeschütteln war es wichtig, die Hand des Begrüßten nicht zu schütteln und nicht zu drücken, es sollte mehr so ein beiläufiges Berühren der Fingerspitzen sein, und ganz wichtig war, dass man dem Begrüßten beim Handgeben keinesfalls ins Gesicht, sondern möglichst deutlich an ihm vorbeisah. Hansi und Heiko riefen die Namen der Stammgäste, wenn diese im Windfang erschienen:
    Pfundy!
    Schumi!
    Nussi!
    Theo!
    Kalle!
    Paul!
    Jesko!
    Hundertzehn!
    Käpt’n Freitag!
    Tarzan!
    Manni!
    Tiger!
    Poncho!
    Schmidti!
    Old Firehand!
    Huckleberry!
    Ach, der kleine Biermann!
     
    Gegen halb zehn zog der Suff im Lokal gewaltig an. Hansi musste mehr zapfen, schneller zapfen. Die Getränke, die in immer kürzer werdendem Takt übern Tresen gingen, waren Bier, Kümmerling und das Mischgetränk Goldkrone Cola. Es wurde gesoffen; dann gesoffen; dann gesoffen; dann – eins noch, Hansi, zwei noch, Heiko – gesoffen.
    Normal.
    Der Jeansoverall Schmidti tauchte am Tresen auf, hielt sich irgendwo fest. Hansi: »Schmidti, noch ’ne schöne Molle?« Schmidti guckte nur. Er nickte nicht. Er schüttelte aber auch nicht den Kopf. Das hieß, dass bei Schmidti noch eine Molle ging.
    Hansi: »Mach ich dir fix und feddich, Schmidti.« Heiko, zwei Teller mit Currywurst hochhaltend, zu zwei Handwerkern am Tresen: »Sitzend? Stehend? Liegend?« Sie wollten stehend.
     
    Die von den Oberhavel Bridge Guards, bärtige Männer mit schweren Lederjacken, waren auch schon da: Wenn bei den Hells Angels der Zweite Weltkrieg und die daraus folgende soziale Entwurzelung die Urkatastrophe gewesen war, die die Veteranen dazu gebracht hatte, den Rest ihres Lebens auf Motorrädern zu verbringen, so musste die Urkatastrophe bei den Bridge Guards die körperlich brutal schwere Arbeit in den Ziegeleien und das plötzliche Aus dieser Industrie gewesen sein. So dachte ich gerade.
    Ein Alter, sein Bier empfangend, stotterte: »Mach ditt mal uff’n Deckel, Heiko. Du weißt, ich zahle immer.«
     
    Tresen-Szene, klassisch: Da setzte sich einer neben den Reporter, großer Schnauzbart, Hansa-Rostock-Kappe, Jeansjacke, zog die Jacke aus, darunter ein Achselhemd mit dem T-Shirt-Klassiker »Bier formte diesen wunderschönenKörper«, sackte, sobald er das Bierglas in der Hand hielt, in sich zusammen und fing sofort an, seinen endlosen Blabla-Text über seinen Verein aufzubrabbeln – man wusste nicht, mit wem er sprach, ob mit mir, mit anderen, mit sich, mit dem ganzen Lokal, oder ob das egal war, wem sein Vortrag galt: Elf Mal habe sein Verein nicht verloren, davon seien sieben Unentschieden gewesen, so reiche es natürlich nicht. Wenn man so spiele, so der Mann mit der Hansa-Rostock-Kappe, gehöre man in die Zweite Liga, da habe man in der Ersten nichts zu suchen, ja, man könne froh sein, dass man nicht längst in der Dritten oder Vierten Liga spiele.
    Hansi goss dem Rostock-Fan eine rotes Konzentrat aus einer Flasche mit der Aufschrift »Halb-Halb« ein. All die Mini-Dramen, Szenen, Schlüsselszenen, Geschichten, angerissenen Geschichten: Man konnte es nicht alles mitkriegen.
    Ein Greis, der am Ende der Bar vor der Küche saß, hatte über Stunden an einem Bier getrunken. Er sah schlicht zu traurig aus, zu müde, zu fertig

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