Deutschboden
mit dem Hosenträger-Mann überstanden hatte, vielleicht, weil diese neue Bekanntschaft zwar nicht im engeren Sinn abgewehrt, zu den vielen heftigen Worten aber doch heftig Stellung bezogen werden musste. Ich wollte keinen Mist bauen. Bisschen aufpassen, was als Nächstes passierte.
Es war einfach, diesem Blocky zuzuhören, und es machte Spaß. Er hatte schon öfter einen langen Text in der Kneipe aufgesagt, das hörte man. Er war sicherlich schlauer, schneller, lustiger als viele andere, die sich gerade im Lokal aufhielten, und natürlich zog er eine Nummer durch: ein Typ, der auf gemütlich, kumpelhaft, knuffig machte und, wenn es die Stimmung verlangte, auch ein bisschen böse sein konnte. Einer, der mit seinen Gags gut durchkam. Blockys Äuglein mussten funkeln, seine Hände mussten immer etwas darstellen. Ein Unterhalter. Allseitsbeliebter. Ein Kneipenprofi. Ein Typ, der alles ausdrücken und sagen konnte, solange er sich wohlfühlte und das richtige Getränk in der Hand hielt.
Blocky zählte die Kulturveranstaltungen auf, die in seinem Leben als Nächstes anstanden, ein Foreigner-Konzert in der Zitadelle Spandau, ein Konzert der Satireband Hasenscheiße in der Nachbargemeinde Bergsdorf, Helge Schneider im Admiralspalast, und, ganz wichtig, die Biermeile zwischen Straußberger und Frankfurter Platz auf der Karl-Marx-Allee. Heiko, am Zapfhahn: »Noch ’ne Molle, Blocky?«
Blocky, strahlend, er hielt Heiko das leere Glas hin: »Bin ich denn schon wieder so unterhopft?«
Auch Blocky sprach ein eisenhartes Brandenburgisch, bloß setzte er sich von den anderen Oberhavelern ab, indem er Worte demonstrativ falsch aussprach oder den Dialekt ins Lächerliche überzog. Man hörte, dass Blocky auch Hochdeutsch sprechen konnte, wenn er wollte. Man hörte außerdem, dass Blocky gerade Freude an dem grandios asozialen Deutsch hatte, das er sprach:
Hör do’ uff.
Ditt is’ mir nüscht.
Arbeeten.
Dusselig labern.
Weeßicknich.
Fastehste.
Richti’!
Wichtig war beim Brandenburgisch wie beim Berlinerisch, dass Z wie S ausgesprochen und S-Laute gelispelt wurden. Von Blocky hörte ich das schöne Wort »unglaubbar«. Blocky sagte: »Ditt is’ doch unjlaubbar.«
Ich erzählte Blocky, dass es hier gerade fast geknallt hätte, weil ich, am Tresen stehend, das ganze Lokal im Rücken, in mein Notizbuch geschrieben hatte.
»Ja«, sagt Blocky, und er guckte, als ob ich ein bisschen blöde wäre, was ich in dem Moment vielleicht auch war. »Die von der Stasi haben auf dem Klo mitgeschrieben«, erklärte Blocky, »das sitzt bis heute. Denen knallt die Fassung raus, wenn sie einen mitschreiben sehen.«
Und Blocky gab mir nun die Spitznamen, mit denen er mich in den nächsten Monaten immer wieder ansprechen würde: »Stadtmensch. Seine intellektuelle Heiligkeit. Seine intellektuelle Kleinigkeit. Walther von der Vogelweide.«
Er blickte mich sehr vertraut an, kumpelhaft, mit einem Zwinkern, was unpassend und überzogen, aber eben auch gut überzogen rüberkam: als würden wir uns Jahre, nicht erst Minuten kennen. »Hör mal, Stadtmensch«, sagte Blocky. Er schaute mich mit der ganzen Breite seinesGesichts, dem Bart, den Brillengläsern an: »Deinen Kopf benutzen«, sagte Blocky, »weeßte? Das musste bei uns schon.«
Es schaltete sich mein zweiter Bekannter ins Gespräch ein, der mit der Kappe und den bunten Tätowierungen – er hatte sich schon seit zehn Minuten in unserer Ecke betätigt, hin- und hertretend zwischen seinem Bierglas und den zwei Spielautomaten, die er gleichzeitig bediente. Er hatte schnell und sicher und mit einem Blick von der Seite entschieden, dass ich Ortsfremder war. Die Automaten durch Geldeinwerfen, Tastendrücken und gelegentliche Faustschläge am Laufen haltend, hatte er dem Gespräch auf eine derart aktive und aufmerksame Art zugehört, dass es zuletzt so erschienen war, als habe er schon lange, obwohl er nichts gesagt hatte, an unserer Unterhaltung teilgenommen. Seine Zuwendung in unser Gespräch fand also auf die denkbar leichteste, flüssigste, beiläufigste Art statt.
Ich war mit Blocky wieder bei der Frage gelandet, welche Rolle die Rechtsradikalen in dieser Kleinstadt hier spielten – wieder die Nazis, weil die Nazis immer das naheliegende Thema waren: Wie es nachts auf den Straßen zuging; was an der Aral-Tankstelle abgehe; welcher Sorte Jugendlichen die Eiche am Rathaus als Treffpunkt diene; ob es bestimmte Lokale gebe, in denen man sich nach Einbruch der
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