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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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mit der Welt, um sich ein zweites zu bestellen. Backenbart. Keine Zähne mehr im Mund. Müder, trauriger Greis. Hansi legte dem Alten ein Fläschchen Kümmerling unter den hängenden Kopf: »Hier. Den schenke ich dir. Jetzt aber ab ins Bett.«
     
    Der Reporter hatte zwischendrin überlegt, ob er im Gesicht des modernen Unterschichtlers, des in den Zeitungen so viel beschriebenen Prekariats, im Angesicht dieses Lokals und seiner Leute eine gewisse Regelmäßigkeit oder Gesetzmäßigkeit der Züge oder des Ausdrucks erkennen konnte, kurzum, ob es das typische Prekarier-Gesicht gab. Dann wusste der Reporter sofort, auf undab guckend, das Bier in der Hand: Gab es wohl nicht (bei dieser Fragestellung hatte ich jetzt komischerweise ein moralisches Problem, das war ja ganz widerlich).
     
    Was dagegen toll zu betrachten und als Phänomen auch wirklich vorhanden war, war die irre Mischung der Berufe, sozialen Herkünfte, Biografien, Erfolgskurven, der jähen und schlingernden Niedergänge, die hier gemeinsam an einem Tische saßen oder in Grüppchen zusammenstanden. Da waren wirklich alle Typen miteinander zugange, also Dauer-blau mit Freitagabend-blau mit Gerade-ausgelernt mit Alles-gehabt-alles-verloren mit DieGeschäfte-laufen mit Noch-nie-gearbeitet mit Du-musstein-Schwein-sein mit Scheiß-Weiber-Scheiß-Politiker mit Ich-kenne-mich-aus-in-den-modernen-Zeiten mit Lassmal-gut-sein-Alter.
     
    Am Stammtisch hatte man am stärksten wahrgenommen, dass es mich gab. Es gab Blicke. Bedrohlicher waren allerdings die Blicke, die extra nicht geworfen wurden, sondern am Stammtisch blieben. Auf die Eckbank am Ofen hatte sich ein auffällig großer Mann hingelegt, da lag er, zwei Meter lang, mit Trainingshose und Stars-&Stripes-Hosenträgern über dem Bauch. Der Bauch war riesig. Fast so groß wie der Bauch war der Kopf des Hosenträger-Mannes.
    Heiko, dachte ich und merkte, dass dieser Einfall mich beruhigen sollte, Heiko kannte ich nun schon seit Jahren. Gerade konnte ich ihn, das volle Tablett balancierend, durch das Lokal fegen sehen. Dabei rief er – ein bisschen durchgedreht, aber natürlich auch lustig:
    »Lecker, lecker, lecker! Molle, Molle, Molle!«
    Und dann spürte ich, einen Ellbogen auf dem Tresen, den Körper ins Lokal hinein gewandt, wie mir das dritte und vierte Bierchen den Frieden gaben, den ich dringend brauchte, damit ich nicht fluchtartig das Lokal verließ, in mein Auto stieg und heimwärts nach Berlin fuhr. Der Kopf wurde ruhig, schwer, langsam, bequem. Den eigenen Blicken gelang es dafür, durch feste Gegenstände, ganz gleich, ob Wand, Kachelofen oder Bauch mit Hosenträgern, hindurchzustieren. Das war der Frieden des Biers.
    Ich genoss das richtig.
    Dann wollte mein Inneres kleine Gedichte aufsagen.
     
    Nachdenken in der Gaststätte Schröder:
    Hier bin ich richtig.
    Hier weiß ich weiter.
    Die Typen hier finde ich okay – die können alle so weitermachen und alle so bleiben, wie sie sind.
    Prost.
    Ich wusste alles.
    Saufend sah ich mehr.
    Saufend kannte ich mich aus.
    Und saufend dachte ich über das Bier, die Molle, nach:
    Der einzige Fehler am Bier war all die Jahrhunderte lang gewesen, dass es ein Neutrum war. Das Bier. Das hatten sie – hier in Oberhavel, hier in der Gaststätte Schröder – geändert: die Molle. Meine Molle. Schöne Molle. Du liebe Frau.
    Willst du, Fremder, noch eine schöne Molle?
    Ja.
    Eine geht noch immer.
    An der Bar, an der sich die Männer drängten, fing ich todesmutig an, das, was ich an Wortfetzen und Gesprächen um mich herum hörte, in mein Notizbuch, das vor mir neben dem Bierglas lag, hinein zu notieren:
    »Ausjekaspert.«
    »Hör uff!«
    »Feddich.«
    »Du Arschloch.«
    »Arschjeige.« »Im Flugzeug, ditt weeß ick janz jenau, schenken se nur Lübzer Pilsener aus. Ditt Pils aus Lübz in Meck-Pomm, weeßte.«
    »Ein Unding is’ ditt.«
    »Ditt is’ eines der besten Biere der Welt.«
    »Ditt sar’ick doch.«
    »Kasparkopp, du.«
    »Scheffler, Quelle, Karstadt … Früher waren ditt noch Millionen. Heute hörste ja nur noch Milliarden, Millarden, Millarden!«
    »1472 Kilojramm.«
    »Abgasturbolader … Ladeluftkühler …«
    »Diffusor.«
    »Die Sechs-Jang-Schaltung könnte präziser einrasten.«
    »Eene Woche hatten sie denselben Jrill dann für zehn Euro billijer, bei REWE! Nee. Wart ma’. Bei Real war ditt,
    jenau!«
    »Ein Unding is’ ditt.«
    »Fabrescha sind ditt.«
    »Ditt Arschloch.«
    »Arschjeige.«
    »Kunde, du.«
    »Kaputter Kunde is’

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