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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Dunkelheit besser nicht mehr sehen ließ. Überhaupt, wie aktiv und für jeden sichtbar die ganze Nazi-Scheiße im Alltag von Oberhavel noch sei. »Alles Quatsch«, sagte der am Spielautomat, und er warf noch eine Münze ein, bevor er seinen Kopf in unser Gesprächhineindrehte. Braune Augen, Dreitagebart, ein Ring in der Unterlippe.
    Sah der Typ gut aus? Man würde sagen: Der Typ sah gut aus. Klares Gesicht, klare Kante, klare Ansage.
    »Alles Quatsch.«
    Es war definitiv nicht sein erstes Bier heute Abend, und genauso sicher würde er noch ein paar mehr Bier vertragen. Der wird jetzt keinen Scheiß erzählen, das dachte man. Da bin ich jetzt gespannt, was der zu erzählen hat, das dachte man als Nächstes. Der Mann am Automat brauchte nur sein Glas festzuhalten und zu gucken, mehr brauchte der nicht, um Bekanntschaft zu schließen – schon wieder einer, der etwas vom Quatschen, vom Leute-Ansprechen und Steile-Meinungen-Vertreten verstand.
    Dieser Mann, das dachte ich in einem Anfall der Sympathie, hatte Ähnlichkeit mit dem jungen Eminem. »Das ist alles vorbei. Früher, zu Nachwendezeiten, da war es wirklich krass. Zwischen 1991 und 95 stand Oberhavel auf Platz drei der Städte mit den meisten Straftaten. Erst Berlin, dann Frankfurt/Oder, dann Oberhavel. Der harte Kern war hier. Etliche Leute, die Neger über die Brücke geschmissen haben. Ich muss es wissen.«
     
    Dies schien der Moment für eine Pause zu sein, denn der, der es wissen musste, setzte eine Pause: die unheimlich gute Laune, die immer dann aufkam, wenn einer das Wort Neger ganz selbstverständlich, wie ein nicht rassistisches Wort, im Gespräch verwendete.
    Ich erschrak.
    Musste lachen.
    Er warf noch eine Münze ein.
    Man muss sich vorstellen, dass der Typ am Automaten sehr schnell und mit starkem Dialekt sprach. Genauso schnell konnte er zwischen Automaten und Bar hin- und hergehen und mit Blicken sicherstellen, dass seine Worte ihre Wirkung taten. Ich überlegte, was die Worte »Ich muss es wissen« zu bedeuten hatten. Dann dachte ich, dass es auch den Moment gab, an dem es klug war, nicht weiter zu fragen, und dass dieser Moment jetzt gekommen war.
     
    Biere.
    Stimmen.
    Worte.
    Das, was alles noch gesprochen werden würde heute, an Worten, und was dazu getrunken werden musste, an Bieren, damit es ging.
    Alles krass.
    Alles auch ein bisschen viel gerade, fand der Reporter. Im Automaten drehten sich die Glocken, Sonnen, Kirschen. Extraspiel. Risiko. Jackpot. 999 998 Punkte. Rätsel Spielautomaten. Das, dachte ich, wollte ich ja schon immer, wirklich schon immer, einmal von jemandem erklärt bekommen: Wie diese Spielautomaten funktionierten, in denen sich Glocken, Sonnen und Kirschen drehten. Der Reporter hatte keine Ahnung von Spielautomaten.
    Blocky schaltete sich ein. Es schien so, dass er irritiert darüber war, dass er sich den Reporter nun mit einem zweiten Oberhaveler teilen musste: Bis gerade noch war ich sein Fremder, sein Ortsunkundiger gewesen. Man merkte auch, dass Blocky die Rede des Manns am Automaten so nicht stehen lassen konnte.
     
    Blocky: »Das ist immer das Erste, was die Fremden fragen, wenn sich mal wieder einer zu uns verirrt.« Er machte einen behämmerten Fremden nach, der hinter vorgehaltener Hand flüsterte: »Sag mal, man hört ja so einiges – ist es bei euch immer noch so schlimm mit den Rechten?« Und Blocky gab die Antwort, jetzt wieder ganz Blocky, gleich selber: »Quatsch. Früher vielleicht mal. Heute doch längst schon nicht mehr.« Der am Automaten bestätigte: »Das sag ich doch – so richtig durchgedreht ist keiner mehr. Das war alles früher mal. Früher war es krass, jetzt ist es ruhig geworden. Wir haben in Oberhavel unsere zwei, drei Stadtbekannten, die haben kurze Haare, die hören ihre Mucke, aber die greifen niemanden mehr an. Das sind normale Spinner, mit denen du auch mal ein Bier saufen kannst.«
     
    Und er erzählte – gekonnter Themenwechsel – wieder zügig, wieder mit schnellen Blicken, Griffen, Schritten, dass er gerade von der Bandprobe käme.
    Bandprobe?
    Wieso Band?
    War das seine Band?
    Seine Band heiße 5 Teeth Less, zu Deutsch Fünf Zähne weniger (der Name der Band sei nicht so wichtig, man hätte sich auch Ein Sack Schrauben nennen können, das habe man sogar ernsthaft erwogen, aber der englische Name sei dann doch besser gewesen, man singe schließlich auf Englisch). Vier Mann. Bass, Gitarre, Schlagzeug, Gesang. Er, Raoul, säße am Schlagzeug. Man mache Punkrock, aber mit

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