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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Bier zusammen.«
    Der Russe stierte. Dann trollte sich der Russe zum Gartentor und haute ab.
     
    Das Spazierenfahren mit Blocky war voll in Ordnung. Ich erfuhr allerhand über Oberhavel, was ich so nie hatte wissen wollen. Es war gut langweilig zwischendrin. Und trotzdem genoss ich jede Minute.
    Im Auto ließ Blocky die neue Bruce Springsteen laufen: »Musik, die ich mag, weil die so orchestral ist. Weeßte.« Blocky kannte jeden, wirklich jeden, der uns auf der Straße oder auf dem Bürgersteig entgegenkam. Es war ein durchgehendes Winken, Grüßen, Nicken, Hupen. Blocky konnte kaum das Lenkrad halten, so oft musste er grüßen, und es schien ihm wichtig, stets der Erste zu sein, der die Hand zum Gruß hob. Wenn einer nicht zurückgrüßte, sagte Blocky: »Watt denn? Sieht der mich nicht? Ist der blind?« Blocky erklärte, dass er für jeden mit einem Blick zu identifizieren sei, weil sein Audi das in der Gegend unübliche Nummernschild OR für Oranienburg habe.
    Wir kamen weit hinaus, dorthin, wo es nur braune Wiesen, Büsche und stillgelegte Bahngleise gab. Einen buschartigen Baum bezeichnete Blocky als die für die Region typische Kopfweide. In einen Busch hineinzeigend, erklärte Blocky: »Wenn der Holunder blüht, brenne ich meinen Holunderschnaps. Den haben alle meine Freunde so gerne.« Und als die Blicke einmal in die Ferne schweifen konnten, rief Blocky: »Scheiß Windräder! Verschandeln die Landschaft, und wir bezahlen den Mist!«
     
    Beim Durchfahren eines der für Brandenburg typischen Straßendörfer – flache Häuser, lange Vorgärten, Kirche in der Straßenmitte – hatte ich die Gelegenheit, einem Ostmenschen die Frage zu stellen, die ich als Westmensch schon immer stellen wollte:
    Reporter: »Blocky, wie nennst du den rauen, löchrigen und sandfarbenen Putz, der sich an allen Fassaden, sofern es keine Plattenbauten waren, in der DDR befand?« Blocky: »Kratzputz.«
    Der Blocky am Lenkrad hatte diese Sorte Fragen natürlich gerne, auch wenn er kurz nicht glauben wollte, dass ein Mensch den Häuserputz der DDR, der Kratzputz genannt wurde, nicht kannte: »Der Beton wird mit Splittsteinen vermischt. An der Fassade werden die Steine mit einem Brett mit Nägeln herausgerieben. Daher die typischen Wischspuren an den Häuserwänden.«
    Wieder zurück in der Stadt, trug sich vor dem Eiscafé auf der Spandauer Straße eine ulkige Szene zu: Blocky wollte hier Stopp machen, weil er im Eiscafé habe anschreiben lassen. Die Eissorten hießen Fruchteis Kiwi und Milcheis Mozart, Milcheis Raffaelo und Milcheis Mon Cheri. Gegen den kleinen Hunger gab es Bockwurst mit Toast oder ein Paar Wiener mit Toast. Zu der Frau, die vor uns in der Schlange stand und von Blocky als Gründerin eines privaten Krankenpflegedienstes vorgestellt wurde, sagte Blocky: »Nimm mal was Exotisches, Ananas oder Maracuja.« Die Frau vom privaten Krankenpflegedienst: »Nee, ich nehme Schokolade und Vanille, ich darf das, ich bin Kind der DDR.« Tja, lustig. Eins zu null für die DDR. Zum Ende der Tour sprach Blocky mir eine Einladung zum Grillen in seiner Blockhütte aus: Schönes Entrecote, bei Kaiser’s gebe es das gerade zu acht Euro das Pfund: »So billig kriegst du das ja nie mehr.« Schönes Bierchen dazu, Whisky hinterher. Gerne, Blocky. Das machen wir ganz bald mal. Zum Abschied rief Blocky dem Reporter hinterher: »Grüße an Wilfried.«
     
    16 Uhr. Der Reporter blickte zum Himmel hinauf. Nun kam das Ding, vor dem ich mich, neben dem ersten Betreten eines Gasthauses in der Kleinstadt, am meisten gefürchtet hatte: Boxtraining beim Oberhaveler Boxring e. V., Schmelzstraße.
     
    Boxen? Richtig, Boxen war die Sportart, die leider doch immer ein bisschen wehtat (wenn man sich blöd anstellte oder wenn man ein verdrehtes Knie hatte). Boxen war – das mochte ein Klischee sein, stimmte aber trotzdem – die Überprüfung, ob man ein bisschen mehr drauf hatte, als ein bisschen lustig durch die Gegend zu reden: fest auf dem Boden stehen, ausweichen, noch fünf Liegestütze mehr machen, obwohl die letzten zehn schon wehgetan hatten, diese Dinge. Das Boxen, so hatte ich mir das in Berlin überlegt, sollte neben dem Saufen mein zweites Standbein in der Kleinstadt sein. Wer vor der ersten Trainingsrunde in einem Boxclub nicht wenigstens ein bisschen ein blödes Gefühl hatte, der musste dumm sein.
     
    Die Frauen am Empfangstresen schickten mich gleich ganz nach hinten, in den Raum, der hinter dem Spiegelsaal mit den Fitnessgeräten lag.

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