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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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hingen zwei gerahmte Fotos, Mischwald im Herbst. Das Laub glitzerte golden. Der Teppich, billige Auslegeware, blau-grau-rot-gelb changierend, wellte sich an den Rändern. Der Boden war zu den Fenstern hin abschüssig. Die dem Bett gegenüberliegende Wand war mit beigem Saunaholz eingekleidet. An diesem Holz war in einer goldenen Metallhalterung eine sumpfig aussehende Pflanze mit rosa Blüten angebracht. Ein Kleiderschrank mit Schiebetüren mit großen Spiegeln, schwarzem und silbernem Pressholz. Eine Couch mit lila-schwarz-goldgelbem New-Wave-Muster. Eine schwarze Glaslampe auf einem schwarzen Glastisch. Ein winziger Fernseher. Auf dem Schreibtisch lagen Deckchen über Deckchen über Deckchen. Eher zu viele Stühle als zu wenige. Ich notierte alles, was ich sah, in meinem Notizbuch. Ich fand’s ein absolut korrektes Zimmer.
     
    Vor den Kleiderschrank-Spiegeln ging ich, in Unterhosen, in die Grundstellung des Boxers und sah mich an: Der im Spiegel, so lernte man das im Training, war der Gegner. Den schaute ich an. Ellbogen und Arme am Oberkörper, die Rechte am Kinn, die Linke irgendwo vor der linken Augenbraue. Ich ließ den Oberkörper in der Hüfte kreisen, hielt die Deckung oben.
     
    Im Flur oben dachte ich noch mal, dass nicht Hässlichkeit den Flur so bedrückend machte, sondern die Versuche, von der Hässlichkeit durch Dekoration, die wiederum auch nur eine miese, kleine Hässlichkeit sein konnte, abzulenken. Ich huschte durch die Gänge, um möglichst niemanden zu treffen. Unten im Gastraum waren Tische fürs Frühstück gedeckt. Maria stand nicht dort, wo ich sie gestern hatte stehen sehen: hinterm Tresen. Dort stand jetzt Wilfried Finster, in Gastwirtsuniform wie gestern, und zapfte ein Pils. Er zog, zur Begrüßung, zwei Finger von der rechten Augenbraue nach unten, so wie ein Soldat seinen Vorgesetzten begrüßt. Ich grüßte zurück.
     
    Ich fand die Kleinstadt heute auf die ersten Blicke – die Hauptstraße rauf (Rathaus), die Hauptstraße runter (Brücke) – unfassbar mies und klein und niedrig und hässlich bunt angestrichen und, ja, auch einfach langweilig. Ich war wieder auf null gestellt.
    Null Komma null Ahnung, was ich hier anfangen sollte.
     
    Also den Hut auf den Kopf – Zeitungen kaufen bei Helga Liebniz in der Tabakbörse, Spandauer Straße. Den Kunden vor mir bediente Frau Liebniz wie folgt: »Den Kurier ? Noch einen Wunsch?«, und gab sich die Antwort gleichselber: »Wünsche haben Sie genug, wa? Aber die kann ich Ihnen nicht erfüllen, wa? Also, einmal den Kurier , 50 Cent.« Es war derselbe leiernde Tonfall, den ich bei Frau Biermann in der Fleischerei gehört hatte.
     
    In der Bäckerei Kindler gab es einen Pott Kaffee und drei Brötchenhälften mit Käse, Kochschinken, Salami.
    »Dann dürfen Sie sich schon mal setzen.«
    Die Frau hinter der Auslage trug einen Bürstenschnitt, in den die Farben Schwarz, Rot, Gold hineingefärbt waren.
    Unter den Kunden hörte ich viele »Da-sage-ich-Da-sagt-sie-Da-sage-ich«-Gespräche, die stets mit beiderseitig vorgebrachter Empörung und mit Kopfschütteln endeten.
     
    Vor der Gaststätte Schröder saßen schon wieder zwei Pilsbrüder, beide im besten Rentenalter, Hut auf dem Kopf, Gasthaus im Rücken, Blick auf die Straße, Glas vor sich auf dem Tisch. Was in Deutschland weggesoffen wurde: phänomenal.
    Gegenüber, auf den Fensterbänken neben dem Getränkehandel, hatte schon wieder der Komplett-Zerstörte mit dem Cordhütchen Platz genommen, seinen Stoffbeutel mit der Tagesration Bier zwischen den Knien. Ich wunderte mich, dass diese komplett kaputten Hände noch eine Bierflasche halten konnten.
     
    Weil Frau Liebniz die Zeitungen, die ich kaufen wollte, nicht hatte, ging ich in den Lotto-Toto-Laden am Kirchplatz, keine zwanzig Meter von Schröder entfernt. In diesem Haus hatte der Kunde eine Holztür aufzustoßen und stand dann in einem Raum, der gleichzeitig ein Treppenhaus und eine mit zahlreichen Stoffen, Tapetenund Deckchen dekorierte Wohnung war. Links führte eine steile Holzstiege in den ersten Stock, die Tür rechts ging ins Ladenlokal.
    Ein noch mal anders beißender, anders widerlicher, wieder vollkommen unerklärlicher Geruch. Blümchentapeten, die vielleicht aus den Fünfzigerjahren stammten, vielleicht noch älter waren. Bilder, die das Motiv Trockenblumensträuße zeigten. Ein Berliner-Kurier – Thermometer. In den Fenstern standen Plastikbehälter mit den Haribo-Gummis Kinderschnuller, Kirsch-Cola, Riesenerdbeeren und

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