Deutschboden
erklärte, dass es auf Dauer natürlich darauf ankäme, die Neun-, die Zehn-, die Zwölf- und Dreizehnjährigen zum Training zu kriegen: »Mit denen, verstehst du, kannst du dir was aufbauen.«
Ich sagte: »Hat mir Spaß gemacht bei Ihnen heute. Danke.«
Und der Trainer brüllte: »Sportsleute duzen sich doch untereinander! Mensch! Maik!«
Auf der Schmelzstraße blieb ich, gut erschöpft, stehen und hörte einem Fernseher zu, der in Schwerhörigen-Lautstärke hinter geschlossenen Jalousien lief. RTL brachte eine Billigreportage über Arbeitslose: »Man schämt sich schon, wenn man sich 100 Euro leiht«, sagte eine Stimme hinter den Jalousien, und der Reporter im Fernsehen hatte wieder eine Frage. Dann spielte ein melancholisches Klavier. Dann wurde umgeschaltet, eine Stimme sprach, sehr laut, aufgekratzt: »Nicole Kidman.« Ich war vollkommen fertig.
Vor der Brücke kam mir Heute-ein-König winkend, singend, tanzend entgegen, wieder mit der viel zu großen Jeansjacke, mit Zigarettchen im Mund. Als wir auf einer Höhe waren, blieb er stehen, griff sich an den Kopf, als sei ihm gerade etwas Ungeheures eingefallen. Er zeigte auf mich und fragte:
»Sag mal, rauchst du gar nicht?«
Ich guckte ihn von der anderen Straßenseite aus an, sagte:
»Nein.«
Dann gingen wir beide weiter.
Auf der Spandauer Straße schoss mir ein Junge mit dunkler Hautfarbe auf einem kaputt aussehenden, heruntergerockten Mountainbike entgegen. Er stand in den Pedalen. Er trug ein brasilianisches Fußballtrikot. Er hielt den Blick vor sich auf die Straße gerichtet. Ich dachte: Was ist denn hier los? Ein Schwarzer in Oberhavel.
Im Haus Heimat versuchte ich – ich stand mit gepackter Tasche unten im Gastraum –, Maria in ein Gespräch zu verwickeln. Es war wirklich schwierig. Sie hatte wieder mit Gläsern und Spülwasser zu tun. Ihren Haarhaufen hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten, womit sie exakt so aussah wie die süße Squaw in einer Sechzigerjahre-KarlMay-Verfilmung. Sie kam wieder absolut schlaff, müde und reizend rüber: faszinierend. Ich dachte, wie gerne ich den Namen Maria mochte und wie gerne ich diesen Namen aussprach, weil ich die Person mochte, die diesen alten und müden Namen trug, weshalb ich den Namen auch nicht als tot, sondern als sehr frisch und lebendig empfand. Irre. Aber so war der Mensch gestrickt.
Wirt Finster war nicht zu sehen, auch sonst war kein Gast im Gastraum. Auf meine letzten beiden Fragen hatte Maria mit phänomenal leerem Gesicht und der Gegenfrage »Watt?« geantwortet. Nun fing sie mit kleinem Stimmchen, aber durchaus flüssig und zügig an zu erzählen: Ihre Familie lebe in Berlin, Reinickendorf. »Berlin ist gut zum Partymachen. Aber sonst …« Pause. »Berlin ist mir nüscht.« Dann sagte Maria: »Ich mag die Türken nicht, die machen mich immer so an.« Pause. Maria sagte: »Deutsche machen das besser als die Türken. Die greifenmir nicht immer gleich in den Schritt und sagen: Na, hast du Lust?«
Ich erklärte, dass ich großes Verständnis dafür habe, dass sie nicht gegen ihren Willen angefasst werden wolle, von niemandem, auch von Türken nicht. Maria erklärte: »Ich habe ja nichts gegen Ausländer, ich bin ja selber halb Ausländerin, halb Spanierin.« Ich tat erstaunt, obwohl ich Maria keine Sekunde abnahm, dass sie halbe Spanierin war. Das, dachte ich, hatte sie, die Süße, sich gerade ausgedacht, um sich interessant zu machen.
Ich sah mir, während sie abspülte, ganze drei oder vier Minuten lang ihre Fingernägel an. Ihre Finger waren rot vom Spülwasser, die Nägel waren weiß, der äußerste Rand, ein etwa drei Millimeter breiter Streifen, war ein braungelb gepunktetes Tigermuster. Ich fragte Maria, ob sie irgendwann einmal Zeit habe, mir etwa eine Stunde lang alles über ihre Fingernägel zu erzählen: Wie der Fachbegriff für diese Nägel laute. Ihre Lackiermethode. Reinigung und Pflege. Vor- und Nachteile dieser besonderen Fingernägel, positive und negative Erfahrungen, die sie mit diesen Nägeln gemacht habe. Alles. Sie sagte nichts.
Ich dachte an Blocky, Raoul und die Jungs in der Band, die Eric, Rampa und Crooner hießen. Ich nahm meine Tasche, verabschiedete mich. Im Auto machte ich den Schlenker vom Stadtpark zur Aral-Tankstelle. Blauweiß leuchtende Tankstellen-Poesie:
Aral.
Alles super.
Staubsauger.
Luft und Wasser.
Da parkten etwa sechs Autos.
Vor einem Warnschild mit der Aufschrift »Feuergefahr: Rauchen, Feuer, offenes Licht polizeilich
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