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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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hier?«
    Pfundi zum Reporter: »Na prost Mahlzeit. Da bist du ja genau an den Richtigen geraten.«
    Raoul nickte zu einem hin, der ganz am anderen Ende der Bar saß, ein Bier, einen Schnaps und Türme mit ZweiEuro-Münzen vor sich. Raoul sagte: »Das ist Kegel-Kalle. Kalle kegelt sonst für sein Leben gerne, aber heute hat er am Automaten Glück gehabt.« Kegel-Kalle, so Raoul, hatte soeben gut 400 Euro aus dem Spielautomaten im Schröder herausgeholt.
     
    Weil wir gerade dabei waren, stellte sich nun Tiger vor. Tiger war ein stark gebauter, dabei geschmeidig wirkender Mann mit rotblonden Haaren, er trug eine schwarze Fliegerjacke, die mit dem orangenen Innenfutter, und er war restlos betrunken. Das wisse er auch, dass er jetzt restlos blau sei, sagte Tiger: »Ich mache nicht mal mehrpapp.« Er müsse jetzt schnell nach Hause, weil sein alter Vater bei ihm zu Besuch sei. Das sei ein ganz Lieber, sagte Heiko, und legte die Hand auf Tigers Schulter, früher habe Tiger Hühner und Hamster verkauft, die habe er der LPG geklaut – »Nicht wahr, Tiger?« –, jetzt sei er 55 Jahre alt, in Rente und wohne draußen in der Siedlung in einem Haus mit seinem Bruder und käme, wie bei Oberhavelern der älteren Generation üblich, immer mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren. Dass Tiger jetzt, mitten in der Nacht, noch in der Kneipe herumstehe, das sei die Ausnahme, denn wenn Tiger fröhlich sei, dann meistens vor elf Uhr vormittags, damit er zum Mittagsschlaf und zum Ausnüchtern wieder zu Hause auf dem Sofa liege.
     
    Dann tanzte noch einer mit einer viel zu großen Jeansjacke vor uns herum wie so eine Vaudeville-Tänzerin aus den Dreißigerjahren, ein völlig verrückter Auftritt. »Ja«, sagt Raoul und guckte sich das Ganze von der Bar aus an. »Ditt is Heute-ein-König.«
    Was denn?
    Wer? Raoul: »Heute-ein-König. Der heißt so. Harmloser Kerl.
    Hat meistens gute Laune.«
     
    Eine halbe Stunde später, es war gegen zwei, knallte Raoul das Glas auf die Theke und sagte: »So. Ausgetrinkt.« Triumphierender Gesichtsausdruck dazu.
    Ich musste wahnsinnig lachen. Ich war dann froh, mich vor dem Gehen daran zu erinnern, dass am Wochenende ein Komparsen-Casting anstand, und ich wünschte allen viel Glück. Blocky, Raoul und die drei anderen Mitglieder der Band wollten da hin.
    Von Raouls eisenhart rausgeknattertem Brandenburgisch, das noch einige Umdrehungen härter klang als das von Blocky – böser, plastischer, lustiger – merkte sich der Reporter fürs Erste die folgenden Worte:
    Tachchen (für Guten Tag).
    Juti (für gut, in Ordnung).
    Jenaupe (für genau).
    Allet schick? (für alles klar?)
    Versoffner Kunde (für Asozialer).
    Rinnejehau’n (die Steigerung von Hau rein, also Auf Wiedersehen).
     
    Auf dem Weg zur Heimat, die dunkle Spandauer Straße hinunter, spürte ich mein rechtes Bein: das Knie, das ich mir beim Training in Schwedt verdreht hatte. Es fuhr kein Auto mehr. Die Rundbank an der Eiche war leer, auch sonst war kein Mensch zu sehen. Ich merkte mir ein Fenster im noch unrenovierten Haus über dem Friseursalon am Markt: Das Fenster stand offen, grauweiße, etwa vierzig Jahre alte Vorhänge bewegten sich im Wind. Ich schlief sofort ein.

[Menü]
8 Training
    Gleich morgens im Bett: der Riesenschreck darüber, was gestern Abend in der Gaststätte Schröder alles vorgefallen war. Aber Moment: Es war ja nichts weiter und schon gar nichts Schlimmes vorgefallen. Es war nur wesentlich mehr passiert, als sich der Reporter das hatte vorstellen können:
    Stimmen.
    Hände.
    Gesichter.
    Kämpfe.
    Biere.
    Sprüche.
    Namen.
    Ein Arsch.
    Yeah.
    Ich erinnerte mich vor allem an das wunderbare pilsgelbe Licht.
    Und da rief auch schon mein Kumpel aus Berlin an: sich nach dem Rechten zu erkundigen. Ich erzählte, dass ich fix und feddich sei, sonst aber alles in Ordnung. Ulkig, ich hatte keine Lust, mit Berlin zu telefonieren.
    Neun Uhr. Ich war von Schritten auf dem Hotelflur und vom Fummeln mit einem Schlüssel im Schloss der Tür nebenan aufgewacht. Hinter den Gardinen hörte ich die Geräusche der Kleinstadt: An- und Abfahren. Das Öffnen und Zuschlagen von Lieferwagentüren. Verständigung unter Handwerkern. Und immer wieder die Bässe, die auf der Spandauer Straße spazieren fuhren.
     
    Vom Bett aus betrachtete ich das Zimmer, das ich mich am Vortag nicht genauer zu betrachten getraut hatte: Ich lag auf Frotteewäsche. Das Bett waren zwei schwarze Metall-betten, die zum Doppelbett zusammengeschoben waren. Über dem Bett

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