Deutschboden
An der Tür zum Boxclub war eine Art Begrüßungsschreiben, von Boxern für Boxer, ausgehängt: »Warum Amateurboxen? Weil dieser Sport den Körper stärkt, den Kameradschaftsgeist weckt und fördert, die Willenskraft erhöht, zu Disziplin und Fairness erzieht, einen rechten Kerl aus dir macht. Deshalb lerne ich im Oberhaveler Boxring e. V. die edle Kunst der Selbstverteidigung durch das Fechten mit den Fäusten.«
Tür auf.
Guten Tag, Boxring Oberhavel.
Die Jungs waren gerade beim Seilspringen.
Trainer Maik Brunner, geschätzte 45 Jahre alt, stand mit dem Rücken zur Tür, guckte: mittelgroß, kräftig, blond, blauäugig, kurzer Fassonhaarschnitt, ausrasierter Nacken, zerknautschtes Gesicht. Sein Gesicht wirkte breiter, als es hoch war: sah cool aus. Er trug lässige Nicht-Marken-Sportkleidung und Schuhe mit flachen Kreppsohlen. Man dachte beim ersten Blick auf den Trainer, dass dieser Mann in seinem Leben einiges an Drill über sich hatte ergehen lassen: in Schulen, Boxschulen, Trainingslagern, Kasernen. Auf den zweiten Blick dachte man, dass der Trainer ein Frauentyp war. Er konnte ziemlich gut gucken, es war ein spöttisches, es war ein abschätziges Grinsen. Maik Brunner war der Typ Trainer, der das T-Shirt in die Trainingshose reingesteckt trug.
Gespräch zwischen Trainer und Reporter:
»Schon mal geboxt?«
»Ja.«
»Wie viele Kämpfe?«
»Na, gar keinen.«
»Du willst hier also nur ein bisschen mittrainieren?«
»So isses.«
»Na, dann mach dich mal warm.«
Wer ich war, woher ich kam, ob Arbeit oder keine Arbeit, was ich hier zu suchen hatte in der Kleinstadt, das wollte der Trainer, wie so üblich bei Trainern, alles nicht wissen.
Es war ein moderner, mit dem Nötigsten eingerichteter, in keiner Weise irgendwie romantischer Club: Spiegel, Sandsäcke, Ring. Es waren fünf Jungs, die mit mir vor den Spiegeln auf und ab sprangen: einer mit enorm schwerem, muskulösem Oberkörper (für den Boxsport war dieser Körper fast zu kräftig); ein normal Kräftiger; ein kurzer Kräftiger; ein Schmaler; ein Dicker. Der Kräftige war an Armen und Unterschenkeln tätowiert und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »Hatecrime«. Auf der Rückseite des T-Shirts des Tätowierten stand: »Fuck the system«. Alle fünf Jungs trugen Fighter-Haarschnitte (Nacken und Seiten kurz rasiert). Keiner der Jungs war ein auffällig guter Seilspringer, keiner schlug einen Doppelschlag oder Kreuzschlag. Der mit dem enorm kräftigen Oberkörper gehörte irgendwie nicht hierhin – vielleicht auch nur, weil seine Sportkleidung zu teuer aussah. Bei dem Schmalen und bei dem kurzen Kräftigen dachte ich, dass beide im Ring gefährlich werden konnten, der Schmale, weil er zäh aussah, der Kleine, weil Kleine imRing immer gefährlich waren. Der Dicke hatte überhaupt kein Taktgefühl und schoss, anstatt in den Knien zu federn, mit gestrecktem, steifem Oberkörper wie ein Maschinenkolben auf und ab.
Trainer Brunner hatte den Schwerpunkt des heutigen Trainings auf Kondition gesetzt. Ansage: »Ich will euch schwitzen sehen. Ihr sollt euch mal richtig auskotzen.« Also sechs Runden à zwei Minuten Seilspringen, dazwischen Lockerungsübungen, Kraftübungen. Dann Übungen am Sack; dann Partnertraining; dann Ring. Nach drei, vier Minuten war klar: Das war kein Quatsch hier. Tough- es Training. Natürlich sprach Trainer Brunner seine Ansagen im Kasernenton. Ansagen von Trainer Brunner:
Eine Minute ist rum.
Noch eine Minute.
Halbe Minute.
Zeit.
Die Pausen aktiv nutzen, auslockern.
Seil aufnehmen.
So, feddich werden zur sechsten und letzten Runde.
Dann knallten die Seile wieder auf die Holzböden, und die Zeit begann, so unendlich langsam zu vergehen, wie das nur beim Sport möglich war. Es lag eine wunderbar schöne Stumpfsinnigkeit im Seilspringen.
An den Blicken des Trainers sah ich, dass er sah, dass ich mit dem Seilspringen nicht erst gestern angefangen hatte, und weiter sah ich, dass er entschieden hatte, mich dennoch oder gerade deshalb wie einen Anfänger zu behandeln. Ich machte das, was ich beim Sport immer machte, nämlich schwitzen wie ein Schwein. Dann tat das rechte Knie weh. Dann tat das rechte Knie nicht mehr weh. Dann trat, als der Körper maximal erhitzt, aufgeladen, reaktionsschnell und kampfbereit war, die Leere im Kopf ein, die beim Sport immer so toll war, und ich hörte das Zauberwort: »Zeit.«
Das, dachte ich, war vielleicht das Herz, der ganze Sinn dieser Sportart, dass man nach zwei,
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