Deutschboden
spätestens nach drei Minuten dieses schöne Wort zu hören bekam: Zeit.
Zwischendrin gab man sich, wie unter Sportskameraden üblich, die Hand: Rico. René. Paul. Benno. Fred. Es war ein Irrtum, dass man beim Sport über tolle Sachen nachdenken konnte, dazu war der Boxsport zu anstrengend. Ich dachte nichts.
Beim Sandsacktraining rief der Trainer aus Leibeskräften: »Feuer, Männer, Feuer!« Und man konnte die Jungs, während sie die Säcke verprügelten, vor Anstrengung ihre Gesichter verziehen sehen.
Die Jungs wickelten Bandagen. Mich winkte der Trainer vor den Spiegel, ging in die Grundstellung und zeigte mir, obwohl er ahnen konnte, dass ich mich damit längst auskannte, das Einmaleins der Schritte, also den Passgang: Rechte ans Kinn, Gewicht auf den linken und vorderen Fuß, den linken Fuß setzen, die linke Faust schoss dem, der einen da im Spiegel ansah, gerade an die Stirn, den rechten Fuß nachziehen. (Gut möglich, dass ich den Passgang jahrelang falsch trainiert hatte, ich hielt das allerdings für unwahrscheinlich, ich hatte im Gegenteil das Gefühl, dass mir der Passgang längst in Fleisch und Blut übergegangen war.) Ansage Brunner: »Schön die Ellbogen an den Körper rannehmen. Nicht weggucken. Der Gefahr ins Auge blicken.«
Und als ich im Boxring Oberhavel die ersten Schritte im Passgang auf den Spiegel zu machte, sah ich plötzlich vor mir, wie die nächsten Trainingsstunden im Boxring Oberhavel ablaufen würden:
Der Trainer würde mir, der ich den Passgang bei ihm neu zu erlernen hatte, aus nächster Nähe, vielleicht einem Meter Abstand, zusehen. Er würde zurücktreten, mich dabei kritisch von der Seite mustern, den Kopf schütteln. Dann würde er wieder näher treten und mich, der ich vor den Spiegeln den Passgang übte, dabei so anbrüllen wie man einen Schwachsinnigen, den nur ein Schreck wieder zu Sinnen bringen kann, anbrüllte: Das würde des Trainers Brunner Art sein, mich auf meine technischen Fehler hinzuweisen.
Anstrengende Scheiße.
Er kam nun sehr nah, schrie: »Du sollst mit dem Fußballen auftreten, nicht mit der Ferse! Mensch!« Ich nickte, machte meinen Schritt so, dass ich mit dem Fußballen, nicht mit der Ferse auftrat, schwitzte, übte Passgang. Er kam erneut und bellte mir aus nächster Nähe von hinten in die Deckung hinein: »Guck mal, wie du dastehst!
Wie stehst du da?«
Ich hatte mittlerweile eine derartige Angst, falsch dazustehen, dass ich tatsächlich dastand wie ein Vollidiot. Im Spiegel konnte ich sehen, wie Rico (das war der mit dem massiven Oberkörper) René (das war der mit dem Hatewear-T-Shirt) im Ring mit einigen flüssigen Kombinationen, mit Körperhaken und Seitwärtshaken zum Kopf, derart zusetzte, dass dieser in die Knie ging und den Kopf unter den Armen vergrub. Atempause, bitte. Trainer Brunner trat zum heftig atmenden René hin: »Wenn du
eine Pause brauchst, dann musst du sehen, dass du rankommst an den Gegner und klammerst.«
Zum Abschluss des Trainings sagte Brunner: »Fünf mal zwanzig Liegestütze. Aber bitte sauber. Dann lieber weniger Liegestütze. Die aber sauber.«
Lockerungsübungen.
Wiegen.
Danke.
Schluss für heute.
Beim Abnehmen der Bandagen erzählte Rico, der hier offensichtlich auch erst zum zweiten oder dritten Mal trainierte, René, dessen Kopf noch pumpte vor Anstrengung, ganz locker und so nebenbei, wie es sich für einen routinierten Boxer gehörte, was er für einer war: aus Potsdam; bei Motor Babelsberg geboxt; erste Bundesliga; 91 Kilogramm; Schwergewicht; bisher vierzig Kämpfe; keine Lust, sich auf Halbschwergewicht herunter zu hungern. Alles klar. Dieser Rico war also offensichtlich einer, der in einer anderen Liga boxte als die anderen Jungs im Club. René: der Kultname aus dem Osten. Es gab ja keinen zweiten Vornamen, der so sehr DDR war wie dieser. Noch ein paar Worte mit dem Trainer: Jaja. Und: Nö. Und: Sicher. Und: Ja, klar. Und: Das sehe man ja dann.
Maik Brunner: Er habe mit neun mit dem Boxen angefangen, habe in der Junioren-Nationalmannschaft, dann in der DDR – Nationalmannschaft geboxt, zuletzt bei Uli Wegner (vielleicht das bekannteste Trainergesicht im deutschen Boxen, dieser Wegner hatte Sven Ottke und Artur Abraham groß gemacht). Bei einigen entscheidenden Kämpfen habe Maik dann ein bisschen Pech gehabt. Vor zweiJahren sei er von Berlin nach Oberhavel gekommen, wo er beim Wasser- und Schifffahrtsamt einen ordentlichen und gut bezahlten Posten angetreten habe. Der Trainer
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