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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Schlümpfe. Die Verkäuferin, geschätzter Jahrgang 1940, war zahnlos.
    Zur Begrüßung sagte sie: »Aua. Aua. Aua.«
    Dann: »Aua. Mein Rücken.«
    Ich sagte: »Der Rücken, oder?«
    Sie sagte nichts.
    So standen wir ein bisschen, und ich sah ihr zu, wie sie da stand, hinter der Ladentheke, Hände in den Hüften, schwer atmend, vornübergebeugt. Dann sagte sie, man möge ihr die Preise auf den Zeitungen bitte vorlesen, sie könne ihre Lesebrille gerade nicht finden.
    Ich wusste sofort, dass dies der Laden war, in dem ich in den nächsten Monaten meine Zeitung kaufen würde. Dann musste ich, zum Ausklang meiner Morgeneinkäufe und als seelischen Ausgleich, eine Apotheke aufsuchen, deren Einrichtung mir aus der Großstadt bekannt war: bisschen teure Deos anfassen gehen.
     
    Blocky traf ich zur verabredeten Zeit in seinem altrosa gestrichenen Haus. Es lag am Berg, oberhalb der Stadt, gewissermaßen im Villenvorort von Oberhavel. Bloß sahendie Häuser hier nicht wie Villen, sondern wie dekorierte Hundehütten aus: eine Mischung aus Stasi, Obi-Baumarkt und Gelsenkirchener Einfamilienhaus. Viele geflieste Vorgärten, geteerte Garagenauffahrten, Vogelhäuser, die auf Betonsockeln standen. Der deutsche Rasenmäher war überall zu hören.
    Die Adresse von Blockys Haus war Fidel-Castro-Straße Ecke Amselweg, und dann da noch mal hundert Meter weiter den Sandweg hinunter. Was für ein Drama. In der Adresse Fidel-Castro-Straße Ecke Amselweg lag schon das ganze Drama dieser Wohngegend. Vor Blockys Haus parkte ein grüner Audi.
     
    Auf dem Weg, etwa auf der Hälfte des Bergs, hatte ich einen Mann im schwarzen Trainingsanzug auf einer Bank sitzen sehen: Kappe auf dem Kopf, riesige Kopfhörer auf den Ohren. Er saß vornübergebeugt, die Ellbogen auf den Knien gestützt, ein Knie sprang federnd auf und ab: Er stellt für mich, wie er da saß – weggestöpselt unter den riesigen Kopfhörern –, das absolut sinnfällige Bild einer wunderschönen Komplettverweigerung dar. Über den Mann auf der Bank, das dachte mein verkaterter Kopf im Vorbeifahren, wäre es notwendig gewesen, einen Dreihundert-Seiten-Roman zu verfassen, er wäre es wert gewesen.
     
    Hinter Blockys Gartenzaun sah dann alles herrlich unaufgeräumt aus. Gleich am Hauseingang eine Mischung aus Müllkippe und Baustelle: Teile aus Eisen, Rost, Draht, Steinen, Sand, Brettern, Eimern, Schaufeln, Werkzeug. Hinter dem Haus das Haushaltsgebäude, dahinter eine Wiese mit Obstbäumen. Eine Blockhütte als Gartenpavillon: Elektrogrill, Plastiktisch, Plastikstühle, Gartenzwerge. Eine Deutschlandfahne an einem metallenen Fahnenmast, sauber eingelassen in ein Betonfundament. Im Gebälk des Pavillons stand ein Dampfbügeleisen aus Omas Zeiten. Unter dem Dach der Hütte konnte man an einem Balken das ins Holz gefräste Wort »Blockhütte« lesen, und ich verstand erst jetzt den Gag: Blocky hatte deshalb eine Blockhütte im Garten stehen, weil er Blocky hieß. Aua. Man konnte von Blockys Garten in die Nachbargärten hineinsehen.
     
    Blocky war, als ich eintrat, gerade im Gespräch mit einem kräftig gebauten, enorm russisch aussehenden Russen (Brauen, Stirn, Wangenknochen). Er, Russe, war ganz offensichtlich vollständig blau. Er stand da, schwankend, beide Arme in Richtung Blocky ausgestreckt. Der Russe wollte von Blocky eine Flasche Bier haben.
    »Ich trinke nicht mit einem, der besoffen ist«, sagte Blocky. Er sprach eindringlich und betont ruhig und freundlich. »Du sollst nüchtern werden, dann trinke ich wieder mit dir.«
    Das war eine Logik, die der Reporter natürlich interessant fand: Der Russe sollte nüchtern werden, damit er mit Blocky einen saufen gehen konnte. Oberhaveler Trinkerlogik. Mit einem von Anfang an Besoffenen soff dieser Blocky nicht, das fand er blöd.
     
    Blocky trug ähnliche Kleidung wie gestern bei Schröder: kariertes Hemd, Dreiviertelhose, Turnschuhe. Vor ein paar Tagen, erklärte Blocky, habe Vassily, der Russe, ihm geholfen, die Blockhütte zu errichten. Man habe dann nach Feierabend noch ein paar Bierchen zusammen getrunken, und Vassily sei betrunken nach Hause gekommen, wofür ihm Olga, seine Frau, die Ohren lang gezogen habe.
    »Was ist los, Vassily? Hast du Stress mit Olga?«
    »Nichts Stress. Vassily wollen Bier.«
    Vassily boxte Blocky nun mit voller Wucht in den Bauch. Was Blocky und seinem Bauch wenig ausmachte.
    »Nee. Du bist besoffen. Ich will dich besoffen hier nicht haben. Komm wieder, wenn du nüchtern bist, dann trinken wir ein

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